Medscape-Report: Sexuelles Fehlverhalten durch Ärztinnen und Ärzte

6 Januar, 2025 - 06:58
Bianca Freitag
sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz durch Ärzte

Unangemessene Nachrichten, Kommentare oder sogar Berührungen – viele Ärztinnen und Ärzte erleben in der Praxis oder der Klinik sexuelles Fehlverhalten. Das ergab ein aktueller Medscape-Report. Welche Vorfälle besonders häufig vorkamen und wie Betroffene darauf reagiert haben, erfahren Sie im Beitrag.

Auch wenn es immer noch zu viele Vorfälle von sexuellem Fehlverhalten sind, sind die Zahlen im Vergleich zum letzten Medscape-Report von 2019 insgesamt zurückgegangen. Ein möglicher Grund dafür könnte die #Metoo-Bewegung sein, die auch im Gesundheitswesen für mehr Aufmerksamkeit in diesem Bereich gesorgt hat. Denn fast jeder zweite Befragte ist der Ansicht, dass sexuelles Fehlverhalten mittlerweile ernster genommen wird als noch vor fünf Jahren. Ein Problem bleibt jedoch: Laut Medscape fehlen vielen Praxen und Kliniken Meldesysteme für so ein Fehlverhalten. Darum sei es nötig, diese und auch Präventionssysteme einzuführen.

Diese Vorfälle sind konkret passiert

Doch wie viele Ärztinnen und Ärzte haben selbst schon sexuelles Fehlverhalten, Belästigung oder sogar Missbrauch erfahren? Laut Umfrageergebnisse trifft das auf fünf Prozent der Befragten zu, dabei erlebten Frauen (9 Prozent) dies häufiger als Männer (3 Prozent). 14 Prozent haben solche Vorfälle bei anderen beobachtet, wobei es häufiger in Krankenhäusern (20 Prozent) als in Praxen (8 Prozent) geschah.

Konkret erlebten Betroffene besonders häufig körperliche Annäherung oder unerwünschten Körperkontakt (jeweils 74 Prozent), anzügliche Kommentare (60 Prozent), Vorschläge für sexuelle Aktivitäten (31 Prozent) oder die Frage nach einem Date (26 Prozent). Für Personen, die Vorfälle sexuellen Fehlverhaltens beobachtet haben, gelten ähnliche Werte.

43 Prozent der Befragten gaben an, dass sich nur eine Person innerhalb dieser drei Jahre ihnen gegenüber sexuell inkorrekt verhalten hat, bei 34 Prozent waren es zwei bis drei Personen. Nur elf Prozent sagten, dass es bei vier oder fünf Personen zu einem Fehlverhalten gekommen sei. Neun Prozent gaben an, dass es mehr als 7 Personen waren.

Wer sind die Täter und wo ist es passiert?

Betrachtet man die Berufsgruppen des Gesundheitswesens, so waren 57 Prozent der Täter Ärztinnen oder Ärzte, 14 Prozent Pflegefachkräfte und sechs Prozent MFA/MTA. Das sexuelle Fehlverhalten ging zu 69 Prozent von Männern aus. Außerdem standen 46 Prozent der Täter hierarchisch über den Betroffenen, 23 Prozent befanden sich auf derselben Hierarchieebene und 31 Prozent waren darunter. Die Befragten sind sich jedoch nicht einig, ob besserverdienende Ärzte eher mit Fehlverhalten davonkommen. 33 Prozent sind dieser Auffassung, 47 Prozent denken dies nicht.

Die Fachgebiete, in denen sexuelles Fehlerhalten laut Umfrage am häufigsten auftrat, waren die Chirurgie (17 Prozent), gefolgt von der Gynäkologie (14 Prozent) und der Allgemeinmedizin (9 Prozent). Zwar gab es auch in anderen Fachbereichen Vorfälle, jedoch nicht so viele. Und wo genau kam es in Praxen oder Krankenhäusern zu Übergriffen? Am häufigsten nannten die Befragten als Ort den Flur (31 Prozent), ein Behandlungszimmer (29 Prozent), das Büro des Täters (29 Prozent) oder im OP-Bereich (17 Prozent). Seltener kam es im Verwaltungsbereich (14 Prozent), in der Notaufnahme oder im Wartezimmer (jeweils 9 Prozent) zu Vorfällen. Das verdeutlicht, dass sexuelles Fehlverhalten besonders in zentralen Arbeitsbereichen von Ärztinnen und Ärzten oder anderen Mitarbeitenden vorkommt. Hier sei es demnach besonders wichtig, für Prävention und Schutz zu sorgen.

So haben Betroffene reagiert

40 Prozent der Befragten haben nach einem Vorfall den Täter gebeten, mit seinem Fehlverhalten aufzuhören. Elf Prozent haben dem Täter gesagt, wie es sich anfühlt. Allerdings haben 71 Prozent der Betroffenen das Fehlverhalten des Täters nicht gemeldet. Nur 14 Prozent haben die Vorgesetzten informiert, elf Prozent vertrauten sich Kolleginnen oder Kollegen an und sechs Prozent meldeten es der Personalabteilung.

Generell hatte sexuelles Fehlverhalten negative Auswirkungen auf die Betroffenen. 77 Prozent von ihnen mussten nach einem Vorfall mit dem Täter weiter zusammenarbeiten. 20 Prozent überlegen, wegen eines Vorfalls zu kündigen und 20 Prozent haben dies auch getan. Doch für diejenigen, die nicht den Arbeitsplatz gewechselt haben, hatte ein Übergriff negative Folgen: 40 Prozent der Betroffenen versuchten, im Arbeitsalltag dem Täter aus dem Weg zu gehen. 17 Prozent klagen über Konzentrationsschwierigkeiten. Für 34 Prozent ist der Arbeitsalltag auch nach dem Vorfall gleich geblieben.

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Ein erschreckendes Ergebnis der Umfrage ist außerdem, dass sexuelles Fehlverhalten für Arbeitgeber wenig von Belang ist. 89 Prozent von ihnen bieten keine systematischen Trainings für den Umgang mit sexueller Belästigung an. Und nur 16 Prozent der Mitarbeitenden geben an, dass sie gut über Beschwerdeverfahren informiert sind, 46 Prozent wissen gar nichts darüber. Trotzdem denken 61 Prozent der Befragten, dass ihr Arbeitgeber entsprechende Vorfälle untersucht.

Zum Hintergrund

Nach einer ersten Befragung im Jahr 2019 führte Medscape erneut eine Umfrage zum Thema sexuelles Fehlverhalten am Arbeitsplatz in Kliniken und Praxen durch. An der Online-Umfrage nahmen insgesamt 773 Ärztinnen (33 Prozent) und Ärzte (67 Prozent) teil. Die Mehrzahl von ihnen ist über 45 Jahre alt. Medscape weist darauf hin, dass die Umfrage nicht repräsentativ ist und die Ergebnisse nicht auf die Allgemeinbevölkerung übertragen werden können. Die Antworten aus der Umfrage beziehen sich auf Erlebnisse innerhalb der letzten drei Jahre.

Quelle: Medscape-Report „Sexuelles Fehlverhalten in Praxen und Kliniken – und was unternehmen Betroffene dagegen?“, Dezember 2024

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