
Wie kann ich als Ärztin oder Arzt im Klinik-, Ambulanz- oder Praxisalltag leichter delegieren? Wie schaffe ich es, dass die Aufgaben auch voller Motivation von meinen Mitarbeitenden angenommen werden? Erhalten Sie in diesem Artikel Tipps, wie Sie Ihre eigenen Hemmnisse und die Ihrer Mitarbeitenden überwinden können, um ein zufriedenes Team und selbst mehr Freiraum zu haben.
Delegieren muss man nicht nur dürfen, sondern auch wollen
Die rechtliche Grundlage, was Ärztinnen und Ärzte delegieren „dürfen“, ist weitgehend geregelt. Grundsätzlich ist die medizinische Leistung an die dienstleistungsverpflichteten Personen, in diesem Fall die Ärztinnen oder Ärzte, geknüpft (Bürgerliches Gesetzbuch §613). Jedoch können diese durchaus auch ärztliche Leistungen auf Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung sowie nichtärztliches Personal delegieren; die Möglichkeiten und Grenzen für diese Delegation ergeben sich aus Gesetz, Verordnungen und/oder dem Arbeitsvertrag (Krull B. Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal: Möglichkeiten und Grenzen. Dtsch Arztebl 2015; 112(3).)
So ist im Anhang zur Anlage 24 des Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) ein Beispielkatalog delegierbarer ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal aufgeführt, wie z.B. standardisierte Anamneseerhebung, Aufklärungsvorbereitung, bei entsprechender Fachkunde auch Röntgenuntersuchungen, Computer- und Magnetresonanztomographien, Blutabnahmen, Audiometrie, Wund- und Verlaufskontrollen etc.; die verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte sind bei der Delegation zu besonderer Sorgfalt verpflichtet und müssen sich von den erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten überzeugen.
Auch bei Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung ist der Umfang der Delegationsmöglichkeit immer vom Weiterbildungsstand und davon abhängig, was im Rahmen der Weiterbildung notwendig und somit gestattet ist, wobei die Auswahl- und Überwachungspflicht für die delegierenden Ärztinnen und Ärzte bestehen bleibt (Busch H.-P. Juristische Rahmenbedingungen für den Chefarzt, in: Management-Handbuch für Chefärzte 2012: 71.)
Darüber hinaus gibt es auch in der Praxis, Ambulanz oder Klinik viele andere, auch nichtärztliche Aufgaben, die grundsätzlich delegiert werden könn(t)en. Und doch erwischen wir uns immer wieder dabei, dass wir die Dinge wie Dienstplan schreiben, Unterlagen abheften, Konsile anfragen jedoch auch den komplizierteren Wundverband, die Drainagenanlage etc. doch lieber „schnell“ selbst machen. In diesen Fällen „wollen“ wir nicht delegieren, wobei bewusste und unbewusste Hemmnisse eine Rolle spielen.
Hemmnisse beim Übertragen von Delegationsaufgaben
Häufig wird genannt, dass bei der starken Arbeitsbelastung keine Zeit bleibt, jemanden in Ruhe anzuleiten. Schließlich würde es schneller gehen, die Aufgaben selbst zu machen. Kommt Ihnen das bekannt vor? Wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, kann uns jedoch das Delegieren mittel- bis langfristig Zeit einsparen (siehe auch Letter K. und Letter M. Praxisführung: Mehr Zeit für das Wesentliche. Dtsch Arztebl 2007;104(19): A-1339-40).
Zudem ist es unter anderem unsere Aufgabe als Ärztin oder Arzt, auch unseren Schülerinnen und Schülern gebührende Achtung zu erweisen, sowie unser medizinisches Wissen zum Wohle der Patientin und des Patienten und zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung zu teilen (siehe Genfer Deklaration / Das Ärztliche Gelöbnis in der Neufassung von 2017, Weltärztebund (WMA)).
Ein weiteres Hemmnis kann das fehlende Vertrauen sein. Zum einen kann die Unsicherheit bestehen, ob die andere Person diese Aufgabe auch wirklich ausüben kann. Hat sie ausreichende Qualifikationen und auch die Sorgfalt, die uns wichtig ist? Zum anderen könnten wir uns auch die Frage stellen, ob unsere Fähigkeiten ausreichen, die Aufgabe gut anzuleiten. Wir können die von uns häufig durchgeführte Aufgabe souverän ausführen – was jedoch, wenn die Ärztin oder der Arzt in Weiterbildung Genaueres zum Hintergrund wissen möchte? Können wir hier suffizient Antwort geben?
Merke
Nach Erlenwein J. et al. sind beim Delegieren folgende Schritte notwendig:
Die Ärztin bzw. der Arzt müssen die Tätigkeit
- anordnen,
- die Umsetzung anleiten und
- überprüfen (das Ergebnis beaufsichtigen).
Vergleiche Erlenwein J. et al. Delegation ärztlicher Tätigkeiten in der Akutschmerztherapie. Anaesthesist 2018; 67:38–46
Was passiert also, wenn beim Überprüfen Fehler auftreten? Entscheidend ist hier die Frage, wie mit Fehlern in der Klinik, Ambulanz oder Praxis umgegangen wird. Bei einer schlechten Fehlerkultur kann die Angst bzw. der Druck auf die Ärztinnen und Ärzte, die beim Delegieren die Verantwortung nur zum Teil übergeben (Haftungsrisiko können bestehen bleiben, vergleiche Erlenwein J. et al 2018, siehe oben), diese davon abhalten, entsprechende Aufgaben zu delegieren.
Hemmnisse beim Übernehmen von Delegationsaufgaben
Genauso kann es auf der Seite derjenigen, die eine Aufgabe delegiert bekommen, Hemmnisse geben, die Aufgabe übernehmen zu wollen oder zu können. Auch hier kann eine bereits bestehende starke Arbeitsbelastung z.B. durch eine Unterbesetzung die Bereitschaft, neue Aufgaben zu übernehmen, mindern.
Auch das Gefühl, neuen Aufgaben nicht gewachsen zu sein, kann entsprechend das Delegieren erschweren. So fand zum Beispiel eine systemische Literaturanalyse von 18 Studien bei praktizierenden und in Weiterbildung befindlichen Ärztinnen und Ärzten ein Vorherrschen von 20-60 Prozent des Impostor Phänomens (Gottlieb M. et al. Impostor syndrome among physicians and physicians in training: A scoping review. Med Educ 2020; 54(2):116-124). Dabei definiert sich das Impostor Phänomen als Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten, so dass sich v.a. gut Ausgebildete als Hochstaplerinnen oder Hochstapler (engl. impostor) fühlen (vergleiche auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Impostor Phänomen leichter überwinden).
Auch bei nichtärztlichen oder in Weiterbildung befindlichen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen kann sich eine schlechte Fehlerkultur in Angst äußern, neue Aufgaben übernehmen zu wollen. Denn auch sie müssen im Rahmen ihrer Kompetenzen Verantwortung übernehmen (Gefahr von Übernahmeverschulden, vergleiche Erlenwein J. et al 2018, siehe oben).
Delegieren als Führungstool
Wie können wir jedoch leichter und vor allem erfolgreicher delegieren? Die Antwort findet sich vor allem im Entgegenwirken der Hemmnisse (siehe Toolbox Führung).
Toolbox Führung
Erfolgreich Delegieren
Um in der Klinik, Ambulanz oder Praxis erfolgreich delegieren zu können, schaffen Sie folgende Voraussetzungen:
- Etablieren und leben Sie eine konstruktive Fehlerkultur: Legen Sie besonderen Wert darauf, eine angstfreie Umgebung zu schaffen, in der konstruktiv über Fehler gesprochen werden kann. Der Fokus sollte darauf liegen, dass zukünftige Fehler im Sinne der Patientinnen und Patienten vermieden werden. Dabei sollte das Team gemeinsam nach den Ursachen von Fehlern und nicht nach Schuldigen suchen. Sorgen Sie dafür, dass es zur Team-Routine wird, Fehler aufzuarbeiten (nutzen Sie z.B. „Lessons Learned“ oder auch "M & MK“ (Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen), Checklisten, „Time-out“ etc. (vergleiche auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Fehlerkultur leichter verbessern).
- Schenken Sie (Selbst-)Vertrauen: Sie können Vertrauen beweisen, indem Sie entsprechend verantwortungsvolle Aufgaben delegieren, also Ihren Mitarbeitenden anvertrauen. Das Selbstvertrauen Ihrer Mitarbeitenden können Sie unterstützen, indem Sie ihre gute Arbeit anerkennen und wertschätzen. Am Besten nennen Sie hierfür konkrete „Beweise“, woran Sie die gute Arbeit festmachen. Auch als Führungskraft eigene Schwächen zuzugeben, wie z.B. nicht mehr genau zu wissen, warum man einzelne Schritte einer routinierten Prozedur macht oder wie die anatomischen Strukturen alle heißen, kann das Vertrauensverhältnis stärken und zeugt von Selbstbewusstsein. Bauen Sie auch Ihr eigenes Selbstvertrauen weiter aus, indem Sie sich Ihre eigenen Stärken und Erfolge z.B. mittels eines täglichen Erfolgsjournals bewusst machen (vergleiche auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Impostor Phänomen leichter überwinden).
- Definieren Sie die Kapazitäten: Nehmen Sie sich Zeit für ein Delegationsgespräch und für die adäquate Einarbeitung. Machen Sie sich bewusst, dass sich die anfangs investierte Zeit mittelfristig bereits auszahlen wird, wenn Sie selbst die Aufgaben nicht mehr machen werden. Beachten Sie jedoch auch die Kapazität Ihrer Mitarbeitenden. Wenn diese neue Aufgaben übernehmen, sollten sie ggf. andere Aufgaben abgeben. Vielleicht finden sich auch Aufgaben, die sich als überflüssig herausstellen. Hierzu können Sie zusammen mit dem Team das Eisenhower-Prinzip nutzen: A-Aufgaben, die für Sie (persönlich) wichtig und dringend sind, erledigen Sie direkt selbst; B-Aufgaben, die Ihnen (persönlich) wichtig, jedoch nicht dringend sind, arbeiten Sie nach den A-Aufgaben selbst ab; C-Aufgaben mit dringender Timeline, die Sie nicht unbedingt selbst machen müssen, delegieren Sie; D-Aufgaben, die weder wichtig, noch dringend sind, sollten Sie und Ihr Team entsprechend aus Ihrem Arbeitsalltag streichen und sich hier mehr Kapazität schaffen (vergleiche auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Sich leichter in der vorhandenen Zeit managen).
nach Prof. Dr. med. Sonja Güthoff
Ein starker Treiber für uns als Ärztinnen und Ärzte in Führung sollte sein, dass wir uns durch erfolgreiches Delegieren mittelfristig Zeit und Kapazität freimachen und unsere Mitarbeitenden zufriedener sind, worauf Studien hinweisen (Riisgaard H. et al. Relations between task delegation and job satisfaction in general practice: a systematic literature review. BMC Family Practice 2016; 17:168-75). Vermitteln Sie Ihren Mitarbeitenden in einem strukturierten Delegationsgespräch ebenfalls die Motivation, gerne eine Aufgabe zu übernehmen. Viel Freude beim Delegieren.
Tipp
Möglicher Ablauf eines Delegationsgespräches nach Letter K. und Letter M.:
- Als Motivation begründet die Ärztin oder der Arzt, warum sie bzw. er gerade diese Mitarbeiterin bzw. diesen Mitarbeiter für geeignet hält, die Aufgabe zu übernehmen.
- Was soll die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter warum und wie und womit tun – und bis wann?
- Welche Kompetenzen übernimmt sie bzw. er, wie ist die Verantwortung geregelt?
- Welche Ziele und Ergebnisse sollen erreicht werden, welche Umsetzungsschritte sind geplant und welche Kontrolltermine sowie Feedbackgespräche sind vorgesehen?
- Von wem erhält die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter Unterstützung, und welche Hilfsmittel kann sie bzw. er nutzen?
Vergleiche Letter K. und Letter M. Praxisführung: Mehr Zeit für das Wesentliche. Dtsch Arztebl 2007;104(19): A-1339-40)
Die Autorin:
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Expertin für Medical Leadership und Resilienz im Gesundheitswesen, Professorin für Health Care an der AKAD Hochschule Stuttgart sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen und begleitet Ärztinnen und Ärzte, aber auch andere Führungskräfte aus dem Gesundheitswesen dabei, sich und andere besser zu führen.
Sie möchten mehr erfahren? Kontaktieren Sie die Autorin gerne zu den Themen Medical Leadership und Resilienz im Gesundheitswesen unter info@sonjaguethoff.com und nutzen Sie die Fortbildungsmöglichkeiten für Ärztinnen und Ärzte unter www.instgag.com.