
Was ist das PERMA Modell aus der Positiven Psychologie? Erfahren Sie auch, wie Sie dieses Modell als Basis für eine leichtere Führung in der Medizin nutzen können, um die Potentiale aller in Stations-, OP-, Ambulanz- oder Praxis-Teams optimal zu fördern.
Fokuswechsel vom Negativen auf das Positive
Wir Ärztinnen und Ärzte werden vom Studium an auf das Auffinden von Krankheiten trainiert. Der Fokus richtet sich also immer auf die Pathologien und wie wir diese nach Möglichkeit heilen oder zumindest verbessern können. Was dieser andauernde Fokus auf Krankheiten und Limitationen konkret für Auswirkungen auf unsere eigene Belastung hat, lässt sich schwer abschätzen. Gerade auf dem Hintergrund, dass sich Hinweise darauf finden, dass Ärztinnen und Ärzte im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine höhere Prävalenz z.B. für Depression, Burnout und Substanzgebrauch aufweisen (Beschoner P., Limbrecht-Ecklundt K. und Jerg-Bretzke L. Psychische Gesundheit von Ärzten - Burnout, Depression, Angst und Substanzgebrauch im Kontext des Arztberufes. Der Nervenarzt 2019; 90:961-974), wäre ein Fokuswechsel hin zu positiven Schwerpunkten wünschenswert.
Auch bei den klassischen psychologischen Kolleginnen und Kollegen richtet sich der Fokus in erster Linie auf die Psychopathologien. Ende der 1990er Jahre gründeten die amerikanischen Psychologie-Professoren Martin Seligman und Miháli Csíksezentmihályi sowie deren Kolleginnen und Kollegen das neue wissenschaftliche Forschungsgebiet der Positiven Psychologie. Ziel ist es, nicht nur den pathologischen Zustand der Betroffenen zu vermeiden (im Sinne eines Punktewertes von minus zehn auf null zu bringen), sondern auch ein höheres Maß an Wohlbefinden zu erreichen (im Sinne eines Punktewertes von plus zehn, vergleiche Rosen Kellermann G. und Seligman M. Tomorrow Mind. Ariston Verlag 2023).
Das PERMA Modell
Mittlerweile gibt es aus den letzten 25 Jahren zahlreiche Publikationen im Bereich der Positiven Psychologie. Darunter z.B. eine Metaanalyse, die demonstriert, dass gemittelt über alle eingeschlossenen 347 Studien mit 72.356 Teilnehmenden (davon 33.760 in den Interventionsgruppen) entsprechende Interventionen der Positiven Psychologie einen statistisch signifikanten kleinen bis mittleren Effekt auf die Reduktion von Angst, Stress und Depression sowie die Verbesserung von Lebensqualität, Belastbarkeit und Wohlbefinden hatten (Carr A. et al. Effectiveness of positive psychology interventions: a systematic review and meta-analysis. The Journal of Positive Psychology 2021; 16(6):749-769).
Viele der Interventionen im Bereich der Positiven Psychologie basieren auf dem sogenannten PERMA Modell von Martin Seligman (Flourish: A visionary new understanding of happiness and well-being. Free Press 2011). Mehr als 8.000 Studien haben dazu beigetragen, in diesem Modell die Maßstäbe für mehr subjektives Wohlbefinden anhand von fünf Komponenten zu definieren (Rosen Kellermann G. und Seligman M. Tomorrow Mind. Ariston Verlag 2023).
Merke
Das PERMA Modell nach Prof. Martin Seligman besteht aus den folgenden Komponenten:
P = „positive emotions“ (Positive Emotionen)
E = „engagement in work, love, and play” (Engagement bei Arbeit, Liebe und Spiel)
R = „positive relationships“ (positive Beziehungen)
M = “meaning and mattering” (Sinn und Wichtigkeit)
A = „accomplishment, achievement, and mastery (Leistung, Erfolg und Meisterschaft)
Siehe Rosen Kellermann G. und Seligman M. Tomorrow Mind. Ariston Verlag 2023
Jede der fünf Komponenten für sich genommen trägt nach Seligman´s Theorie (2011, siehe oben) zum Wohlbefinden bei. Die Kombination aller Komponenten könne den Zustand des „flourishing“ (Aufblühens) unterstützen, da die eigenen Potentiale optimal genutzt werden können, was jedoch auch zum optimalen Funktionieren einer Gruppe wie zum Beispiel eines Stations-, OP-, Ambulanz- oder Praxis-Teams führen kann.
Toolbox Führung
Durch kleinere und größere Maßnahmen können Sie als Ärztin oder Arzt in Führung auf der Ebene aller fünf Komponenten Ihr Team optimal unterstützen:
Positive Emotionen begünstigen
- Fokussieren Sie sich als Team mehr auf die positiven Dinge, indem Sie zum Beispiel bei der Übergabe oder Morgenbesprechung erstmal die Dinge hervorheben, die gut gelaufen oder gelungen sind (siehe Ärztinnen und Ärzte in Führung: Positive (Selbst-)Führung in der Medizin);
- Feiern Sie gemeinsam Erfolge wie erfreuliche Entlassungen von Patientinnen und Patienten, gut gelungene OPs etc.;
- Schaffen Sie eine positive Feedback-Kultur, in der Sie wertschätzend miteinander reden und sich gegenseitig für die unterschiedlichen Fähigkeiten Anerkennung schenken;
- Teilen Sie positive Rückmeldung von Patientinnen und Patienten oder anderen Abteilungen.
Engagement fördern
- Erkennen Sie die Stärken Ihrer Mitarbeitenden, eruieren Sie, was den Einzelnen leichtfällt und Spaß macht (siehe Ärztinnen und Ärzte in Führung: Verschiedene Persönlichkeiten leichter führen);
- Ermöglichen Sie mehr Tätigkeitsbereiche, in denen die einzelnen im Team genau diese Stärken einsetzen und in den „Flow“ kommen können, den Zustand, in dem man komplett in die Aufgabe versinken kann;
- Ermuntern Sie bereits Medizinstudierende, jedoch auch Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung, gerade die Bereiche der Medizin für sich zu entdecken, die ihren Stärken entsprechen und ihnen dauerhaft Freude machen können;
- Motivieren Sie Ihr Team, Verbesserungsvorschläge für alltägliche Prozesse zu machen, damit ihnen die Arbeit leichter fällt und mehr Freude bereitet (natürlich sollten Sie diese Vorschläge dann auch wirklich prüfen und umsetzen lassen).
Positive Beziehungen aufbauen
- Schaffen Sie ein Team-Gefühl, in dem Sie gemeinsam frühstücken, Pausen miteinander verbringen oder hin und wieder andere Aktionen auch außerhalb der Klinik, Ambulanz oder Praxis planen;
- Fördern Sie die psychologische Sicherheit im Team, indem Sie eine wertschätzende Kommunikation etablieren und konstruktiv über Fehler miteinander sprechen (siehe Ärztinnen und Ärzte in Führung: Fehlerkultur leichter verbessern);
- Unterstützen Sie positiv die multiprofessionelle Kommunikation und Zusammenarbeit, bei der die Kompetenzen jeder Profession respektiert und anerkannt werden;
- Klären Sie im Team die Verantwortlichkeiten und fördern sowie fordern Sie auch mit Vertrauen die Selbstverantwortung von Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung, Pflegefachkräften oder MFA.
Sinn und Wichtigkeit unterstützen
- Gerade die Medizin bietet die Möglichkeit, den Sinn der eigenen Tätigkeit leicht zu erkennen, so dass Sie einfach im Team daran erinnern können;
- Betonen Sie den Beitrag, den alle im Team zur Behandlung und Pflege der Patientinnen und Patienten leisten;
- Regen Sie auch an, die eigenen Werte und den Sinn im Leben zu definieren, ermöglichen Sie Ihrem Team, diese in der Klinik, Ambulanz oder Praxis leben zu können;
- Unterstützen Sie gewünschtes ehrenamtliches Engagement, das auch z.B. als Team-Event oder -Aktion genutzt werden könnte.
Leistung, Erfolge und Weiterbildung ermöglichen
- Gehen Sie davon aus, dass alle gerne Leistung bringen und Erfolge erleben möchten, trauen Sie es daher als Basis jeder einzelnen Person im Team unabhängig vom Alter, Geschlecht oder Profession etc. auch zu;
- Geben Sie allen transparent und fair dieselbe Chance, sich strukturiert mit Ihrer Unterstützung weiterzubilden;
- Würdigen Sie Leistungen und Erfolge wie z.B. gut gelungene OPs oder Interventionen, Therapieerfolge, das Erreichen von Facharztanerkennungen oder Zusatzbezeichnungen etc.;
- Schaffen Sie eine optimale Umgebung, wo alle im Team ihr eigenes Wissen auf Fortbildungen, Kongressen und Trainings erweitern möchten und bereit sind, dieses auch anschließend mit den anderen im Team zu teilen, wodurch die Leistung Ihres ganzen Teams verbessert werden kann.
Überlegen Sie sich auch, in welchen Bereichen Sie sich selbst noch besser aufstellen bzw. bewusster leben möchten. Suchen Sie sich auch eine Peergroup, in der Sie sich positiv unterstützen und motivieren können. Auf diese Weise können wir alle an einer Positiven Medizin arbeiten.
Tipp
Binden Sie Ihr Team aktiv mit ein, um die richtige Umsetzung für die einzelnen Komponenten gemeinsam zu finden.
Stellen Sie zum Beispiel die Fragen:
„Was brauchst Du / Ihr, um mehr positive Emotionen in der Klinik, Ambulanz oder Praxis zu empfinden?“ oder
„Wie können wir unsere Beziehungen untereinander im Team und zu anderen in der Klinik, Ambulanz oder Praxis verbessern?“
Beispiel aus der Praxis
Die Oberärztin in leitender Funktion der Notaufnahme möchte das PERMA Modell in ihrem interdisziplinären und multiprofessionellen Team anwenden. Dabei überlegt sie, was sie bereits von den fünf Komponenten des Modells umsetzt.
Positive Emotionen:
Sie stellt fest, dass im Notaufnahmen-Alltag wenig Zeit für den Fokus auf Positives bleibt. Sie haben im Grunde schon eine gute Feedback-Kultur. Allerdings ist der Ton oft recht schroff, so dass gerade jüngere Kolleginnen und Kollegen diesen eher negativ auffassen.
Engagement:
Sie hat sich lange keine Gedanken mehr darüber gemacht, was die Stärken der Einzelnen im Team sind. Oft teilt sie auf die Schnelle das Team ein, ohne auf deren Bedürfnisse oder Neigungen zu achten. Und sie weiß gar nicht, wem die Arbeit wirklich Spaß macht.
Positive Beziehungen:
„Ihre“ Notaufnahme hat schon lange kein Team-Event mehr erlebt. Früher haben sie auch mal zusammen gekocht oder alles für einen Brunch zur Übergabezeit mitgebracht. Außerdem spürt sie, dass es zwischen der ärztlichen und der pflegerischen Profession immer wieder Reibereien und unklare Zuständigkeiten gibt.
Sinn und Wichtigkeit:
Sie findet, dass ihre Tätigkeit in der Notaufnahme eindeutig sinnhaft ist. Wann hat sie jedoch zuletzt den Pflegefachkräften gesagt, welchen Beitrag diese zur Notfallversorgung tagtäglich leisten?
Leistung, Erfolg und Meisterschaft:
Gerade hinsichtlich der Fort- und Weiterbildung gesteht sie sich ein, hat sie ihre guten Vorsätze schleifen lassen. Es gibt leider keine strukturierte Weiterbildung für die Ärztinnen und Ärzte und die Fortbildungsangebote sind komplett eingeschlafen.
Als erstes führt die Oberärztin wieder die wöchentliche interprofessionelle Morgenfortbildung ein. In dieser stellt sie selbst das PERMA Modell vor. Anschließend hängt sie im Aufenthaltsraum an der Wand fünf Flipchart-Papiere zu den einzelnen Komponenten des Modells auf und bittet alle, jeweils konkrete Wünsche und Vorschläge in den jeweiligen Bereichen zur Verbesserung im Team zu machen. Fast alle sind motiviert, zusammen eine positive Entwicklung zu gestalten.
Die Autorin:
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Expertin für Medical Leadership und Resilienz im Gesundheitswesen, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen und begleitet Ärztinnen und Ärzte, aber auch andere Führungskräfte aus dem Gesundheitswesen dabei, sich und andere gesund zu führen.
Sie möchten mehr erfahren? Kontaktieren Sie die Autorin gerne zu den Themen Medical Leadership und Resilienz im Gesundheitswesen unter info@sonjaguethoff.com und nutzen Sie die Fortbildungsmöglichkeiten für Ärztinnen und Ärzte unter: https://www.sonjaguethoff.com/aerzteundaerztinnen/