
In der Klinik, Praxis oder anderen Einrichtungen im Gesundheitswesen sind wir aktuell besonders Veränderungen ausgesetzt. In diesem Artikel erhalten Sie Input, wie Sie erkennen, in welchen Phasen des Veränderungsprozesses Ihre Mitarbeitenden sich befinden und wie Sie individuell auf den verschiedenen Ebenen unterstützen können. Erfahren Sie auch, wie wir unsere eigene Veränderungskompetenz und die des Teams verbessern können.
Gerade im Gesundheitswesen befinden wir uns mitten in Veränderungsprozessen. Sei es die Digitalisierung, die immer mehr unseren Alltag durchdringt, oder die Krankenhausreform, durch die vielerorts deutliche Veränderungen umgesetzt werden müssen (siehe Deutsches Ärzteblatt. Erstes Bundesland schließt Krankenhausreform nach Leistungsgruppen ab).
Eine gute Begleitung von Veränderungsprozessen ist auch im Gesundheitswesen wichtig, wobei eine amerikanische Arbeit fünf Herausforderungen definiert, denen sich die zukünftige Gesundheitsarbeitswelt stellen müsse (Solow M. und Perry T. E. Change Management and Health Care Culture. Anesthesiol Clin. 2023; 41(4):693-705):
- mangelnde technische Kompetenz der aktuellen Belegschaft,
- veraltete Vorschriften angesichts neuer Technologien,
- negative Auswirkungen von Innovationen auf die Interaktion zwischen Behandelnden und Patientinnen bzw. Patienten,
- ein Generationskonflikt zwischen klinischer Erfahrung und technischem Know-how, sowie
- Widerstand von Fachpersonen gegenüber technologischen Fortschritten.
Dabei schlussfolgern die Autoren als zentrale Konzepte für zukünftige Veränderungen im Gesundheitswesen unter anderem starke und engagierte Führung und das Erkennen und Beheben von Unzufriedenheiten innerhalb der Belegschaft (Solow M. und Perry T. E. 2023, siehe oben). Wie können wir als Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegefachpersonen in Führung dies erreichen?
Phasen im Veränderungsprozess erkennen
Hilfreich sind Modelle aus dem Change Management. Sie bieten uns ein Verständnis darüber, in welchen Phasen des Veränderungsprozesses sich die Mitarbeitenden befinden und damit die Möglichkeit, die Mitarbeitenden auf ihrem verhaltensmäßigen und insbesondere emotionalen Weg durch organisatorischen Wandel zu unterstützen (Leybourne S. Emotionally sustainable change: two frameworks to assist with transition. International Journal of Strategic Change Management 2016; 7: 23-42).
Das Transitions (Übergangs)-Modell nach William Bridges (Bridges, W. Managing Transitions: Making the Most of Change. Addison-Wesley, Reading, MA 1991) beschreibt drei Phasen, die häufig durch starke Emotionen geprägt sind:
- In der ersten Phase – Letting Go (Loslassen) – stehen Abschied und Verlust im Vordergrund. Gewohnte Strukturen, Rollen und Sicherheiten brechen weg. Viele empfinden Unsicherheit, Angst oder Widerstand.
- In der Neutral(en) Zone erleben Mitarbeitende oft Orientierungslosigkeit, Frustration und Zweifel. Alte Routinen gelten nicht mehr, neue Prozesse greifen noch nicht. Diese Phase ist geprägt von Ambivalenz – zwischen dem, was war, und dem, was noch nicht ist.
- Erst in der Phase des New Beginning (Neubeginns) werden neue Prozesse, Rollen und Haltungen wirklich angenommen und integriert. Mit dem Neubeginn entsteht Orientierung, Sinn und Motivation.
Ein weiteres Modell, das gerne in Veränderungsprozessen genutzt wird, ist der Trauerzyklus der schweizerisch-US amerikanischen Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross (On Death and Dying, Routledge/Tavistock Publications, London 1969) mit seinen sieben Phasen:
- Phase 1: Unruhe & Unsicherheit
Erste Hinweise auf Veränderungen sorgen für Spekulationen. Gerüchte und diffuse Sorgen machen die Runde. - Phase 2: Schock & Rückzug
Viele reagieren mit Ablehnung von Verantwortung, innerer Distanz oder Lähmung. Die Arbeitsmotivation sinkt messbar. - Phase 3: Widerstand & Ärger
Kritik und ablehnende Haltungen treten offen zutage. Einige ziehen sich zurück, andere äußern Unmut lautstark. - Phase 4: Frust & Verstand
Die Notwendigkeit der Veränderung wird erkannt, doch die persönliche Beteiligung bleibt noch verhalten. Erste pragmatische Lösungen entstehen. - Phase 5: Verlustgefühl & Annehmen
Emotionale Akzeptanz setzt ein. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein, dass man neue Kompetenzen entwickeln muss. Erste Schritte werden gewagt. - Phase 6: Neugier & Erkundung
Das Interesse an neuen Wegen wächst. Mitarbeitende beginnen, sich aktiv einzubringen, lernen dazu und gewinnen Sicherheit. - Phase 7: Stabilität & Integration
Die Veränderung wird Teil des Alltags. Routinen passen sich an, das Vertrauen in die eigene Anpassungsfähigkeit steigt spürbar.
Für uns Führungskräfte ist es wichtig, Mitarbeitende immer entsprechend der emotionalen Phase zu unterstützen, in der sich diese gerade individuell im Veränderungsprozess befinden. Dabei sollten wir uns auch unserer eigenen Phase jeweils bewusst sein (siehe Toolbox Führung).
Toolbox Führung
Unterstützungsebenen in Abhängigkeit der Phasen im Veränderungsprozess
Aus den beiden Change Management Modellen (siehe pdf) von Elisabeth Kübler-Ross (Trauerzyklus)1 und von William Bridges (Transition (Übergangs)-Modell)2 lassen sich unterschiedliche Unterstützungsebenen für uns Führungskräfte im Gesundheitswesen ableiten:
- Letting Go (Loslassen) nach Bridges W. / Phase 1-5 nach Kübler-Ross E.: Hier sind wir als Führungskraft gefragt, mit Empathie auf die Gefühle der Mitarbeitenden zu reagieren, Orientierung zu geben und nachvollziehbar zu vermitteln, warum der Wandel notwendig ist. Elisabeth Kübler-Ross unterscheidet die Emotionen noch präziser, die hier gerade individuell durchlebt werden können. Da alle Menschen unterschiedlich mit Veränderungen umgehen, können innerhalb unseres eigenen Teams auch unterschiedliche emotionale Phasen bestehen, die wir berücksichtigen sollten.
- Neutral(e) Zone nach Bridges W. / Phase 6 nach Kübler-Ross E.: Als Führungskräfte sollten wir diesen psychologischen „Zwischenraum“ bewusst durch Offenheit, Unterstützung beim Ausprobieren neuer Wege und das Ermöglichen von Lernprozessen gestalten.
- New Beginning (Neubeginn) nach Bridges W. / Phase 7 nach Kübler-Ross E.: Um diesen Übergang zu fördern, braucht es unsere motivierende Führung, die klare Zukunftsbilder zeichnet, realistische Ziele formuliert und Erfolge sichtbar macht. So kann aus Veränderung nachhaltige Entwicklung entstehen.
Es ist ebenso wichtig, dass wir in unserer Führungsaufgabe im Sinne der impathischen Führung auch jeweils unsere eigene Phase erkennen (siehe Ärztinnen und Ärzte in Führung: Von impathischer Selbstführung zu Impathic Leadership). Meist haben wir uns in unserer Führungsfunktion schon länger mit den Veränderungen beschäftigt und sind somit in den Verarbeitungsphasen bereits weiter fortgeschritten als unsere Mitarbeitenden. Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir leichter Kommunikationsmissverständnisse überwinden.
Nach: 1Kübler-Ross E. On Death and Dying, Routledge/Tavistock Publications, London 1969 und 2Bridges W. Managing Transitions: Making the Most of Change. Addison-Wesley, Reading, MA 1991
Unterschiedliche Reaktionen auf Veränderungen im Team
Wie schnell und intensiv wir und unsere Teammitglieder die Phasen der Veränderung durchlaufen, hängt auch davon ab, wie wir grundsätzlich auf Veränderungsprozesse reagieren – abhängig von unserer Persönlichkeit, unseren Erfahrungen und unserer Rolle im Team. Das DISG-Modell nach Dr. John G. Geiger (vergleiche Seiwert L. und Gay F. Das 1x1 der Persönlichkeit. Persolog 2020) ist ein hilfreiches Tool, das uns als Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegefachpersonen in Führung eine grobe Einordnung geben kann, individuelle Reaktionen auf Veränderungen besser zu verstehen und unsere Kommunikation entsprechend anzupassen (für nähere Erklärung der Verhaltenstendenzen siehe auch Ärztinnen und in Führung: Verschiedene Persönlichkeiten leichter führen).
Dominante Verhaltenstendenz (Rot)
- Stärken im Veränderungsprozess: Personen mit einer dominanten Persönlichkeitstendenz mögen keinen Stillstand, lieben ein hohes Tempo, neue Aktivitäten und Abwechslung, somit grundsätzlich auch Veränderungen. Sie gehen auch direkt und aktiv an Probleme ran.
- Ängste im Veränderungsprozess: Allerdings kommen dominante Persönlichkeiten nicht gut damit klar, wenn sie die Kontrolle über die Umgebung verlieren, denn sie möchten nicht als schwach oder weich gelten.
- Führungsmöglichkeit: Binden Sie dominante Teammitglieder so in den Veränderungsprozess ein, dass sie auch einen gewissen Freiraum besitzen, eigene Entscheidungen treffen zu können. Zur Not sollten sie zumindest die Auswahl aus zwei Alternativen haben.
Initiative Verhaltenstendenz (Gelb)
- Stärken im Veränderungsprozess: Initiative Persönlichkeiten gehen schnell auf neue Ideen und Veränderungen ein. Sie wollen auch in schwierigen Situationen den Kontakt zu uns als Führungskräften und zu anderen Kolleginnen und Kollegen positiv gestalten. Sie drücken gerne Gedanken und Gefühle aus, was eine gute Rückmeldung darstellt.
- Ängste im Veränderungsprozess: Personen mit initiativer Verhaltenstendenz fürchten den Verlust ihrer Anerkennung und die Möglichkeit, dass andere sich über sie ärgern. Denn was sie nicht gut verkraften, ist Ablehnung und nicht gemocht zu werden.
- Führungsmöglichkeit: Nutzen Sie die Begeisterungsfähigkeit von initiativen Teammitgliedern. Hören Sie ihnen jedoch auch zu, wenn sie eigene Ideen einbringen möchten. Und vertrauen Sie auf deren Beschreibungen, wie sich das Team fühlt.
Stetige Verhaltenstendenz (Grün)
- Stärken im Veränderungsprozess: Personen mit stetiger Persönlichkeitstendenz arbeiten gerne mit anderen zusammen, nehmen die Ideen anderer an und bemühen sich darum, eine stabile Umgebung für alle zu schaffen. Zudem können sie auch gut aufgeregte Kolleginnen und Kollegen beruhigen.
- Ängste im Veränderungsprozess: Stetige Persönlichkeiten scheuen unklare Situationen, in denen ihnen die Orientierung und Sicherheit fehlt. Zu schnelle Veränderungen fallen ihnen schwer.
- Führungsmöglichkeit: Schaffen Sie Transparenz über die einzelnen Veränderungsschritte, vermitteln Sie Sicherheit und Klarheit über die Erwartungen, die Sie an das Team stellen. Binden Sie stetige Teammitglieder mit ihrer kollegialen Art zur Beruhigung der anderen ein.
Gewissenhafte Verhaltenstendenz (Blau)
- Stärken im Veränderungsprozess: Personen mit gewissenhafter Verhaltenstendenz sind sehr gut darin, Situationen zu analysieren, das Für und Wider von Maßnahmen abzuwägen und systematisch an die Umsetzung von Veränderungsprozessen heranzugehen. Sie verhalten sich taktvoll und diplomatisch, solange Sie die Notwendigkeit der Veränderung verstehen.
- Ängste im Veränderungsprozess: Gewissenhafte Persönlichkeiten lehnen Veränderungen ab, welche die eigene Leistung gefährden, vor allem wenn die Qualität leidet, weil z. B. zu wenig Zeit und/oder Geld bleibt. Sie scheuen spontane Gefühlsäußerung.
- Führungsmöglichkeit: Beteiligen Sie gewissenhafte Teammitglieder, Maßnahmen im Veränderungsprozess zu analysieren und qualitativ zu überwachen. Geben Sie Sicherheit und liefern Sie Fakten zur Erklärung der Notwendigkeit der Veränderung.
Merke:
Je besser wir die Stärken und Ängste unserer Teammitglieder in sich verändernden Situationen kennen, desto besser können wir sie individuell durch Veränderungsprozesse führen.
Bilden Sie ein interdisziplinäres und interprofessionelles Kompetenz-Teams aus Personen, die Ihre Veränderungsprozesse mitbegleiten. Bedenken Sie bei der Zusammenstellung der Kompetenz-Teams nicht nur, aus allen Mitarbeitenden-Ebenen, sondern auch aus den Persönlichkeitstendenzen möglichst diverse Teams zu bilden, so dass sich alle Mitarbeitenden aus der gesamten Klinik oder Einrichtung vertreten fühlen (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Veränderungen leichter meistern).
Veränderungsbereitschaft beginnt im Kleinen
Ebenso abhängig von unserer Persönlichkeit ist unsere individuelle Komfortzone. Veränderung zwingt uns jeweils, unsere Komfortzone zu verlassen (McConnell C. R. Change can work for you or against you: it's your choice. Health Care Manag. 2010; 29(4):365-74). Dabei können wir durch regelmäßige Herausforderungen uns und unser Team darin trainieren, gewohnte Routinen und Muster bereitwilliger zu verändern.
Tipp:
Wer sich daran gewöhnt, gewohnte Muster zu hinterfragen, entwickelt die nötige Flexibilität für größere Veränderungen. Gerade im Klinik- oder Praxisalltag können Ärztinnen, Ärzte und Pflegefachpersonen in Führung mit einfachen Mitteln das Team ermutigen, den gewohnten Rahmen zu verlassen – spielerisch und ohne Leistungsdruck.
Beispiele für solche Mikroveränderungen:
- Tragen Sie verschiedenfarbige Socken – selbst im OP unter der Kasackhose ein stilles Signal.
- Wechseln Sie die Seite Ihrer Armbanduhr oder tragen Sie das Handy in einer ungewohnten Kittel- oder Hosentasche.
- Sitzen Sie in Besprechungen bewusst nicht auf Ihrem Stammplatz.
- Ändern Sie die Abfolge Ihrer morgendlichen Routine – z. B. erst Kaffee, dann Visite.
- Schreiben Sie eine Notiz mit der nicht-dominanten Hand.
- Nutzen Sie einen anderen Weg zur Klinik – zu Fuß, per Fahrrad oder mit den Öffentlichen.
- Probieren Sie neue Freizeitaktivitäten: Stand-up-Paddling statt Joggen, Improtheater statt Serienabend.
Zusätzlich können Teams "Mut zur Abweichung" in kurzen Reflexionsrunden besprechen: Was habe ich heute anders gemacht? Wie hat es sich angefühlt?
So wird Veränderung vom Risiko zum Trainingsfeld – ganz im Sinne einer lernenden Organisation.
In Erinnerung an Prof. Dr. Thomas L. Saaty, KATZ Business School, University of Pittsburgh (USA)
Die Autorin:
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Gesundheitsmanagement, Medical Leadership und Digital Health an der AKAD Hochschule Stuttgart, Stress- und Burnout-Coach sowie unter anderem TÜV zertifizierte AI Trainerin. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin des Instituts für ein gesundes Arbeitsleben im Gesundheitswesen (INSTGAG) begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte und andere Zusammenarbeitende im Gesundheitswesen dabei, sich und andere besser zu führen. Kontaktieren Sie Sonja Güthoff gerne unter info@sonjaguethoff.de.
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