
Im Klinik- oder Praxisalltag kommt es immer wieder zu Missverständnissen, die auch auf unterschiedlichen Kommunikationsstilen basieren können. Anhand einer Theorie, die zwischen zwei grundsätzlichen Sprachstilen unterscheidet, erfahren Sie in diesem Artikel, wie Sie „konversationelle Rituale“ erkennen, Lösungen für kommunikative Probleme im ärztlichen Alltag finden und beide Kommunikationsstile situativ einsetzen können, um ein motiviertes und harmonisches Team zu fördern.
Die amerikanische Soziolinguistin Prof. Dr. Deborah Tannen analysierte, wie unterschiedliche Kommunikationsstile, geprägt durch kulturelle und geschlechtsspezifische Sozialisation, die Wahrnehmung von Kompetenz und Einfluss am Arbeitsplatz beeinflussen (The Power of Talk: Who Gets Heard and Why. Harvard Business Review 1995; 73(5): 138-48). Sie definiert den Sprachstil als die charakteristische Art und Weise, wie eine Person spricht, einschließlich Direktheit oder Indirektheit, Sprechtempo, Wortwahl und der Nutzung von Elementen wie Humor, Geschichten oder Fragen. Die Basis stelle kulturell erlerntes Verhalten dar, durch das wir nicht nur kommunizieren, was wir meinen, sondern auch die Bedeutungen anderer interpretieren und sie als Personen bewerten.
Darauf begründet Deborah Tannen einen unterschiedlichen Sprachstil bei Männern und Frauen (You just don’t understand: Women and men in conversation. New York: Morrow 1990). In der modernen Kommunikationswissenschaft wird die Unterscheidung eher hinsichtlich der (Geschlechter)Rolle definiert (Edwards, R., Hamilton, M.A. You Need to Understand My Gender Role: An Empirical Test of Tannen's Model of Gender and Communication. Sex Roles 2004; 50: 491–504). Dabei sei der männliche Sprachstil geprägt von Kontrolle und Dominanz, der weibliche Stil von Konsensbildung und Rücksichtnahme.
Unterscheidung zwischen vertikalem und horizontalem Sprachsystem
In der Weiterentwicklung der Theorie von Prof. Dr. Deborah Tannen beschreibt Dr. Peter Modler das vertikale und das horizontale Sprachsystem (Das Arroganzprinzip. So haben Frauen mehr Erfolg im Beruf. 4. Auflage, Fischer Verlag, 2022). Diese Begriffe sollen nachfolgend genutzt werden, um zu verdeutlichen, dass grundsätzlich die Sprachstile in allen Geschlechtern vorkommen können, auch wenn es immer noch Tendenzen aufgrund von kultureller und geschlechtsspezifischer Sozialisation gibt.
Das vertikale Sprachsystem basiert auf einem ausgeprägten Gespür für Hierarchien und Machtstrukturen. Menschen mit diesem Stil setzen Sprache gezielt ein, um ihre Position zu behaupten und ihre Standpunkte klar zu vermitteln. Sie neigen dazu, direkte und entschlossene Ansagen zu machen und legen Wert darauf, ihre Führungsrolle zu unterstreichen. Auch Körpersprache und das Bewusstsein für persönliche oder berufliche „Reviere“ spielen dabei eine wichtige Rolle. Dieses Sprachsystem sei generell eher bei Männern anzutreffen. Im Bereich der zumeist hierarchisch strukturierten Medizin finden sich hier sicherlich öfter Ärztinnen und Ärzte als Pflegefachpersonen wieder, tendenziell auch eher chirurgische Disziplinen und Menschen in Universitätskliniken.
Das horizontale Sprachsystem zeichnet sich durch ein starkes Bewusstsein für Gleichberechtigung, Harmonie und zwischenmenschliche Beziehungen aus. Menschen, die diesen Stil bevorzugen, setzen Sprache gezielt ein, um Verbindungen herzustellen und gemeinsame Lösungen zu finden. Dabei stehen Kooperation und Austausch im Mittelpunkt, während Hierarchien eine eher untergeordnete Rolle spielen. Stattdessen liegt der Fokus auf einem respektvollen und ausgewogenen Miteinander. Mit diesem Sprachsystem werden grundsätzlich eher Frauen in Zusammenhang gebracht. Pflegefachpersonen und Ärztinnen bzw. Ärzte aus Disziplinen wie z. B. der Pädiatrie oder Allgemeinmedizin sowie in familiären Einrichtungsstrukturen könnten eher dieses Sprachsystem nutzen.
Missverständnisse bei verschiedenen Sprachsystemen
Treffen unterschiedliche Sprachsysteme aufeinander, können Missverständnisse und auch Ungerechtigkeiten resultieren, insbesondere, wenn der vertikale Stil als durchsetzungsfähiger wahrgenommen und der horizontale Stil vor allem von anders Kommunizierenden als weniger selbstbewusst aufgefasst wird. Beispielsweise könnten Personen mit horizontalem Stil, die ihre Leistungen nicht hervorheben, als weniger kompetent wahrgenommen werden, obwohl ihre Arbeitsqualität hoch ist. Schon Deborah Tannen hat empfohlen, sich der eigenen Kommunikationsmuster bewusst zu werden, um Missverständnisse zu minimieren (Harvard Business Review 1995, siehe oben).
Deborah Tannen identifizierte zudem auch mehrere „konversationelle Rituale“, die zu Kommunikationsbarrieren führen können. Diese Rituale seien tief in kulturellen Normen verwurzelt, können beeinflussen, wie Individuen am Arbeitsplatz wahrgenommen werden, und zu Fehleinschätzungen führen (Tannen D. Harvard Business Review 1995, siehe oben).
Merke
Unterschiede in nachfolgenden „konversationellen Ritualen“ können nach Deborah Tannen zu Kommunikationsproblemen zwischen den Sprachstilen führen.
- Entschuldigungen: Im horizontalem Stil zeigt sich eine Tendenz, sich häufiger zu entschuldigen, um Empathie zu zeigen, während mit dem vertikalem Verständnis dies als Eingeständnis von Fehlern interpretiert werden könnte.
- Feedback: Vertikal wird oft direktes Feedback gegeben, während der horizontale Ansatz dazu tendiert, Kritik zu mildern, um Beziehungen zu schützen.
- Komplimente: Auf der horizontalen Sprachebene werden häufiger Komplimente ausgetauscht, um Verbundenheit zu stärken, während im vertikalen Sprachsystem diese möglicherweise als unaufrichtig wahrgenommen werden.
- Opposition: Debatten und Widerspruch dienen im vertikalen System dazu, den eigenen Standpunkt zu verdeutlichen, was im horizontalen System als aggressiv empfunden werden kann.
Nach Tannen D. The Power of Talk: Who Gets Heard and Why. Harvard Business Review 1995; 73(5): 138-48.
Relevanz der kommunikativen Unterschiede im medizinischen Alltag
Auch für uns Ärztinnen und Ärzte in Führung ist es wichtig, erst einmal das eigene, gewohnte Sprachsystem und die Unterschiede zum jeweils anderen System zu kennen. Gerade die Wirkung, die wir aufgrund unseres Kommunikationsstils auf Patientinnen und Patienten, in der interdisziplinären Kommunikation oder auch hinsichtlich unserer Karriereplanung haben, lässt sich mit dem Verständnis der entsprechenden Sprachsysteme steuern. Ziel kann es sein, Missverständnissen, Fehleinschätzungen oder einer geringeren Wahrnehmung von Kompetenz vorzubeugen.
Toolbox Führung
Unterschiede zwischen dem vertikalen (eher männlichen) und dem horizontalen (eher weiblichen) Sprachstil im medizinischen Alltag
Patienten-Kommunikation
Vertikaler Stil: Direkte, knappe Ansagen („Nehmen Sie dieses Medikament dreimal täglich ein.“).
Horizontaler Stil: Einfühlsame, erklärende Sprache („Dieses Medikament hilft Ihnen, die Beschwerden zu lindern. Ich empfehle Ihnen, es dreimal täglich einzunehmen.“).
Problem: Ein direkter Stil kann von Patientinnen und Patienten als unpersönlich empfunden werden, während eine zu sanfte Ausdrucksweise als Unsicherheit missverstanden werden könnte.
Lösung: Die Balance zwischen Klarheit und Empathie finden. Achten Sie darauf, nicht zu oft relativierende Formulierungen zu nutzen („Vielleicht wäre es gut, wenn Sie...“), um ihre Autorität zu wahren.
Kommunikation im interdisziplinären Team
Vertikaler Stil: Dominanz durch kurze, bestimmte Aussagen („Wir müssen sofort operieren.“).
Horizontaler Stil: Konsensorientierte Sprache („Meint ihr nicht auch, dass eine OP die beste Lösung wäre?“).
Problem: Horizontaler Stil könnten als weniger entscheidungsfreudig wahrgenommen werden, wenn Sie oft Fragen stellen oder Vorschläge einholen.
Lösung: Sie sollten lernen, klare Aussagen zu treffen und Fragen strategisch einzusetzen. Anstatt „Was denkt Ihr?“ kann „Ich bin der Meinung, dass eine OP die beste Lösung ist. Stimmt Ihr zu?“ mehr Durchsetzungsvermögen vermitteln.
Kommunikation mit Vorgesetzten
Vertikaler Stil: Direktes Hervorheben eigener Erfolge („Ich habe diesen Fall erfolgreich behandelt.“).
Horizontaler Stil: Bescheidenheit („Es war ein Team-Erfolg.“).
Problem: Menschen, die sich nicht aktiv selbst positionieren, könnten in Beförderungssituationen übersehen werden.
Lösung: Gezielt auf die eigene Leistung aufmerksam machen, indem die vertikale Technik genutzt wird: „Ich habe diesen schwierigen Fall übernommen und erfolgreich behandelt.“
Umgang mit Kritik und Autorität
Vertikaler Stil: Direkte Konfrontation („Ich sehe das anders.“).
Horizontaler Stil: Vorsichtige Kritik („Ich verstehe Ihren Punkt, aber vielleicht könnte man es auch so betrachten.“).
Problem: Menschen werden oft als weniger durchsetzungsstark wahrgenommen, wenn sie zu diplomatisch sind.
Lösung: Direkte, aber respektvolle Formulierungen nutzen: „Ich sehe das anders, weil...“ anstatt indirekter Kritik.
Gerade Ärztinnen und Ärzte in leitenden Positionen profitieren davon, beide Kommunikationsstile situativ einsetzen zu können. Während in Krisensituationen ein vertikaler Stil gefragt ist, um schnelle Entscheidungen zu treffen und Sicherheit auszustrahlen, ist in der Personalführung oft ein horizontaler Stil vorteilhaft, um ein motiviertes und harmonisches Team zu fördern. Optimal ist eine Kombination aus klarer Kommunikation und Wertschätzung (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung - Klarer miteinander kommunizieren).
Tipp
Tipp besonders für Frauen (und Männer), die im horizontalen Sprachsystem kommunizieren:
Übernehmen Sie bewusst einige vertikale Kommunikationsstrategien, indem Sie
- eine klare, direkte Sprache ohne übermäßige Abschwächungen verwenden,
- Ihre eigenen Leistungen selbstbewusst benennen,
- strategisch Fragen stellen, um Kompetenz zu zeigen, nicht um Erlaubnis zu bitten, und
- in Konfliktsituationen direkte, aber respektvolle Aussagen treffen.
Achten Sie darauf, Ihre empathischen Stärken beizubehalten (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung – Empathisch(er) führen) und bewusst rhetorische Elemente einzusetzen, um Selbstsicherheit auszustrahlen (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung – Rhetorisch leichter führen).
Die Autorin:
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Gesundheitsmanagement, Medical Leadership und Digital Health an der AKAD Hochschule Stuttgart sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin des Instituts für ein gesundes Arbeitsleben im Gesundheitswesen (INSTGAG) begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte und andere Zusammenarbeitende im Gesundheitswesen dabei, sich und andere besser zu führen. Kontaktieren Sie Sonja Güthoff gerne unter info@sonjaguethoff.de.
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