Ärztinnen und Ärzte in Führung: Empathisch(er) führen

5 Juni, 2024 - 07:23
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA
Ärztinnen und Ärzte in Führung: Prof. Dr. Sonja Güthoff
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach.

Wie äußert sich eigentlich Empathie im medizinischen Setting? Wie kann ich als Ärztin oder Arzt im Klinik- oder Praxisalltag meine Empathie den Patientinnen und Patienten gegenüber verbessern? Setzen Sie sich in diesem Artikel auch mit dem Konzept der empathischen Führung und Faktoren auseinander, die unser Gesundheitssystem ein wenig besser machen könnten.

Was ist Empathie im medizinischen Setting?

Im Jahre 1909 soll der in England geborene und in Deutschland promovierte Psychologe Edward B. Titchener in seiner Vorlesung „Lectures of the Experimental Psychology of Thought Process“ in New York das deutsche Wort „Einfühlung“ mit dem Begriff „empathy“ ins Englische eingeführt haben (Wispé, L. The distinction between sympathy and empathy: To call forth a concept, a word is needed. Journal of Personality and Social Psychology 1986; 50: 314–321). Grundgelegt worden sein könnte das Wort Empathie bereits 1858 von dem deutschen Mediziner und Philosophen Rudolf Lotze, der das Wort „Einfühlung“ aus dem griechischen Wort „empatheia“ („em“ für „in“ und „pathos“ für „Gefühl“) abgeleitet haben soll (Harper D. Etymology of empathy. Online Etymology Dictionary 2024). Seitdem gibt es diverse Veröffentlichungen zum Begriff Empathie bzw. „Empathy“ und entsprechend viele Definitionen. Cuff, B. M. P. et al. haben in ihrer Übersichtsarbeit alleine 43 Definitionen identifiziert (Empathy: A Review of the Concept. Emotion Review 2016; 8(2): 144-153).

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Im Allgemeinen beschreibt Empathie die Fähigkeit, sich in jemanden anderes einfühlen zu können. Gerade im medizinischen Umfeld wurde empathischer Umgang definiert als die Fähigkeit, die Situation, die Perspektive und die Gefühle der Patientin bzw. des Patienten zu verstehen (und die damit verbundenen Meinungen), dieses Verständnis mitzuteilen, dessen Richtigkeit zu überprüfen und dieses Verständnis mit der Patientin bzw. dem Patienten in einer hilfreichen (therapeutischen) Weise umzusetzen (Mercer S. W. und Reynolds W. J. Empathy and quality of care. Br J Gen Pract 2002; 52: S9-12).

Verbesserung der klinischen Empathie

Randomisierte klinische Studien beweisen, dass ein höheres Maß an klinischer Empathie Schmerzen verringern und die Lebensqualität verbessern kann, während Beobachtungsstudien zeigen konnten, dass Empathie die Therapietreue verbessert (Howick J. et al. A price tag on clinical empathy? Factors influencing its cost-effectiveness. J R Soc Med 2020; 113(10): 389-393). Sehen Sie im nachfolgenden Tipp, wie Sie Ihre eigene klinische Empathie oder die Ihres Teams verbessern können.

Tipp

Stewart W. Mercer et al. entwickelten einen validierten Fragebogen, der die Wahrnehmung der Patientinnen und Patienten von relationaler Empathie in der ärztlichen Sprechstunde erfasst. Von den zehn Fragen in diesem CARE („consultation and relational empathy“) Fragebogen können folgende Tipps im empathischen Umgang mit Patientinnen und Patienten abgeleitet werden:

  1. Sorgen Sie dafür, dass sich die Patientin bzw. der Patient wohlfühlt. Seien Sie freundlich und herzlich, behandeln Sie jede und jeden mit Respekt.
  2. Lassen Sie die Patientin bzw. den Patienten die eigene Geschichte erzählen. Geben Sie Zeit für die eigenen Worte ohne Unterbrechung oder Umleitung, auch wenn Sie den Sachverhalt bereits verstanden und die Diagnose im Kopf haben.
  3. Hören Sie wirklich zu. Geben Sie dem Gesagten volle Aufmerksamkeit, schauen Sie in die Augen, nicht in den Computer oder die Akten.
  4. Zeigen Sie Interesse an der ganzen Person. Fragen Sie und versuchen Sie die Patientin bzw. den Patienten, deren Leben und Situation zu verstehen. Niemand möchte sich nur als eine Nummer gesehen fühlen.
  5. Versuchen Sie, das Anliegen voll und ganz zu verstehen. Kommunizieren Sie dies deutlich, ohne etwas für die Patientin oder den Patienten Wichtiges auszulassen.
  6. Zeigen Sie Sorgfalt und Mitgefühl. Seien Sie aufrichtig besorgt und verbinden Sie sich auf der zwischenmenschlichen Ebene.
  7. Seien Sie positiv. Zeigen Sie Zuversicht, indem Sie eine ehrliche, jedoch optimistisch Haltung einnehmen.
  8. Erklären Sie die Dinge klar. Beantworten Sie alle Fragen vollständig, wobei Sie alles deutlich in Laiensprache erklären und adäquate Antworten geben.
  9. Helfen Sie dabei, dass die Patientin bzw. der Patient die Kontrolle übernehmen kann. Erklären Sie, was sie bzw. er selbst zur Gesundung beitragen kann, ermutigen und empowern Sie.
  10. Erstellen Sie gemeinsam einen Aktionsplan. Diskutieren Sie die Möglichkeiten und involvieren Sie die Patientin bzw. den Patienten soweit wie diese möchten in die Entscheidungen („Shared Decision Making“). Achten Sie dabei auf deren Sichtweise.

Modifiziert nach Mercer S. W. The consultation and relational empathy (CARE) measure: development and preliminary validation and reliability of an empathy-based consultation process measure. Family Practice 2004; 21(6): 699–705.

Gerade Patientinnen und Patienten mit lang andauernder Krankheit oder Behinderung, mit psychosozialen Problemen und mit erheblichem emotionalen Leidensdruck sowie Ältere haben die zehn Punkte im CARE Fragebogen besonders relevant bewertet (Mercer S. W. Relevance and practical use of the Consultation and Relational Empathy (CARE) Measure in general practice. Family Practice 2005; 22(3): 328–334).

Vermutlich überlegen Sie gerade, dass die Theorie hinter der Steigerung der klinischen Empathie gut und schön ist, jedoch im Arbeitsalltag in der Klinik, Praxis oder Ambulanz dafür keine Zeit bleibt. Und rechnet sich das Ganze überhaupt? Auch wenn Sie die Patientinnen und Patienten aus Zeitmangel nicht alle ausreden lassen können, so ist es gut, bereits einige der Punkte im Tipp oben umzusetzen. Schauen Sie Ihrem Gegenüber in die Augen, schenken Sie aufrichtige Aufmerksamkeit zumindest in der kurzen Zeit, die Sie für die Anamnese haben, und lassen Sie sie am Entscheidungsprozess teilhaben („Shared Dicision Making“).

Howick J. et al. (J R Soc Med 2020, siehe oben) haben in ihrem Review auch gesehen, dass verstärkte empathische Behandlung die Kosten des Gesundheitswesens erhöhen, da Ressourcen zur Förderung der empathischen Pflege und zusätzliche Zeit für die Patientinnen und Patienten erforderlich sind. Jedoch ergab ihre Analyse auch, dass der potenzielle Nutzen größer zu sein scheint als die Kosten. Geben Sie daher dem Gedanken Raum, im Team über die Verbesserung der klinischen Empathie nachzudenken.

Empathic Leadership

Auch wenn die Verbesserung der Empathie von Pflegefachkräften, Ärztinnen und Ärzten im Umgang mit Patientinnen und Patienten wie oben erklärt anzustreben ist, so muss auch ein Umfeld bestehen, das von empathischen, mitfühlenden Führungskräften geleitet wird (Howick J. et al. Beyond empathy training for practitioners: Cultivating empathic healthcare systems and leadership. J Eval Clin Pract 2024; 30(4): 548–558).

Merke

Bei der empathischen Führung von pflegerischen oder ärztlichen Mitarbeitenden gelten im Grunde dieselben Punkte, die wir auch im empathischen Umgang mit Patientinnen und Patienten beachten dürfen.

Zur Umsetzung von empathischem Führen können wir uns ebenso an den Punkten im CARE Fragebogen von Mercer S. W. et al. (Family Practice 2004, siehe oben) orientieren.

  • Es ist wichtig, insgesamt eine Arbeits-Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle wohlfühlen und gegenseitiger Respekt gezeigt wird. Besonders relevant ist es natürlich auch, wenn Sie Personal- bzw. Feedbackgespräche führen möchten (siehe Ärztinnen und Ärzte in Führung: Leichter Feedbackgespräche führen).
  • Geben Sie Raum, dass Mitarbeitende von sich erzählen dürfen. Besonders in Konfliktsituationen oder bei medizinischen Fehlern möchten die Betroffenen ihre Sicht mitteilen dürfen. Auch wenn Sie bereits die Situation erfasst haben sollten, unterbrechen Sie bitte nicht.
  • Aktives Zuhören mit aufrichtiger Aufmerksamkeit und Augenkontakt ist auch im Gespräch mit den Mitarbeitenden, Kolleginnen und Kollegen ein wichtiges Zeichen von empathischer Führung.
  • Zeigen Sie auch Mitarbeitenden, dass Sie individuelles Interesse an der Person haben. Kennen Sie die Lebensumstände aller Ihrer Mitarbeitenden? Wer ist verheiratet, hat Kinder oder Haustiere? Wer pflegt vielleicht zusätzlich noch Angehörige? Welche Hobbys haben sie und wie verbringen Sie die freien Tage oder den Urlaub? Kurze sogenannte „Vertrauensgespräche“, schaffen die Basis für ein gutes Miteinander, für Engagement und Zugehörigkeit.
  • Wenn Ihnen Probleme anvertraut werden, versuchen Sie, diese vollständig zu erfassen. Wiederholen Sie den Kernpunkt, um zu kommunizieren, dass Sie es verstanden haben.
  • Auch hier ist es wichtig, sich mit den Mitarbeitenden auf einer menschlichen Ebene zu verbinden, um ehrliches Mitgefühl zu zeigen.
  • Optimismus ist ein wichtiger Resilienzfaktor (siehe Ärztinnen und Ärzte in Führung: Leichter resilient führen). Seien Sie auch im Team positiv. Zeigen Sie bei Herausforderungen Zuversicht, indem Sie ehrlich, jedoch optimistisch das Team motivieren (siehe Ärztinnen und Ärzte in Führung: PERMA als Führungsbasis in der Medizin nutzen).
  • Erklären Sie auch Ihrem Team Veränderungen klar. Bedenken Sie, dass Sie meist mehr Informationen haben und vieles bereits mehrfach durchdacht haben. Ihr Team braucht oft noch fehlende Informationen, um Ihren Gedanken folgen zu können. Beantworten Sie daher geduldig die entsprechenden Fragen.
  • Ermutigen und empowern Sie auch Ihr Team. Schließlich ist Ihre erste Führungsaufgabe, das, was möglich ist, zu delegieren. Übertragen Sie hierfür Verantwortung und vertrauen Sie dann auch den Mitarbeitenden.
  • Geben Sie auch die Möglichkeit, dass die Mitarbeitenden mitgestalten können. Sei es, einen gemeinsamen Plan für die eigene Weiterbildung aufzustellen, wie auch die Arbeitsbedingungen zu optimieren.

Empathie im Gesundheitssystem

Schaut man in die Wirtschaft, so rangiert Empathie nach Integrität an zweiter Stelle als wichtigste „Superkraft“, denn Studienteilnehmende aus leistungsstarken Organisationen gaben mit 66 Prozent versus 53 Prozent häufiger an, dass ihre Unternehmenskultur Empathie betont (Leadership Reframed for the Workplace of the Future. Harvard Business Publishing Corporate Learning 2023). In derselben Studie waren 78 Prozent der Führungskräfte der Meinung, dass Empathie in ihren Rollen wichtig sei; jedoch gaben nur 47 Prozent derselben Gruppe an, dass ihre Unternehmenskultur Empathie betone.
Howick J. et al. ergänzen ebenso, dass es nicht nur empathischer, mitfühlender Führungskräfte und der Ausbildung von Fachkräften im empathischen Umgang mit Patientinnen und Patienten bedarf, sondern auf verschiedenen Ebenen förderliche Elemente, um ein empathisches Gesundheitssystem zu ermöglichen (J Eval Clin Pract 2024, siehe oben).

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Faktoren, die nach Howick J. et al. ein empathisches Gesundheitssystem unterstützen sind:

(Externe) Umweltfaktoren:

  • Abstimmung der Ziele des Gesundheitssystems mit dem Patienten-Outcome
  • Empathie-fokussierte medizinische und berufliche Weiterbildung

Organisatorische Faktoren:

  • Förderung einer Kultur der Empathie
  • Unterstützung der moralischen Ära der Medizin
  • Empathie zu einem authentischen und gelebten Organisationswert machen
  • Empathische Führung
  • Einbindung der Patienten
  • Ausgewogenheit zwischen dem Recht zu beschweren und der Möglichkeit zu loben
  • Geschätztes Hilfspersonal
  • Teamarbeit, intra- und interprofessionell

Physisches und technisches Umfeld:

  • Physische und psychologische Heilungsräume
  • Technologie als Werkzeug zur Reduzierung der administrativen Belastung
  • Intelligente künstliche Intelligenz-Technologie

Arbeitsfaktoren:

  • Angemessene Arbeitsbelastung
  • Zeit

Individuelle Merkmale:

  • Selbstempathie: Wohlbefinden für alle Mitarbeiter

(Howick J. et al. Beyond empathy training for practitioners: Cultivating empathic healthcare systems and leadership. J Eval Clin Pract 2024; 30(4): 548–558).

Toolbox Führung

Als Ärztin oder Arzt in Führung können wir jeweils immer nur einen kleinen Teil dazu beitragen, unser Gesundheitssystem zu verbessern. Schauen Sie doch nochmal die Faktoren nach Howick J. et al. (J Eval Clin Pract 2024, siehe oben) an, welche Punkte Sie selbst positiv beeinflussen können. Fangen Sie am Besten bei sich und Ihren Mitarbeitenden an und beantworten Sie sich die folgenden Fragen:

Die Autorin:

Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD Hochschule Stuttgart sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin des Instituts für ein gesundes Arbeitsleben im Gesundheitswesen (INSTGAG) begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte und andere Zusammenarbeitende im Gesundheitswesen dabei, sich und andere besser zu führen. Kontaktieren Sie Sonja Güthoff gerne unter info@sonjaguethoff.de.

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