
Haben Sie selbst schonmal ein Assessment Center durchlaufen? Oder nutzen Sie in der Klinik, Praxis oder Ambulanz vor allem im Bewerbungsverfahren dieses Instrument? Erhalten Sie in diesem Artikel Informationen zum möglichen Ablauf und auch zum Potential eines Assessment Centers, um in der Medizin und Pflege ein stabiles Team aufzubauen.
Assessment Center sind seit Jahrzehnten ein bewährtes Instrument in der Wirtschaft, um im Bewerbungsprozess die Eignung von Kandidatinnen und Kandidaten für spezifische Positionen im Unternehmen zu evaluieren. Bisher werden Assessment Center im medizinischen Bereich selten genutzt. Dabei bieten sie auch in Kliniken, Praxen und Ambulanzen Potenzial, für eine stabile Teamzusammensetzung das Auswahlverfahren zu optimieren und das pflegerische sowie ärztliche Team in den Entscheidungsprozess hinsichtlich neuer Kolleginnen und Kollegen einzubeziehen.
In der deutschen Studie von 2016 des Arbeitskreis Assessment Center e.V. (Obermann Ch. et al. Assessment Center-Praxis 2016: Vorläufiger deskriptiver Ergebnisbericht zur AkAC-AC-Studie 2016) wurde herausgearbeitet, welche Kompetenzen in den teilnehmenden Unternehmen in Assessment Centern abgefragt wurden. Am häufigsten wurden Kommunikationsfähigkeiten genannt (90 Prozent), gefolgt von Durchsetzungs- / Überzeugungskraft (75 Prozent), Führungskompetenz (71 Prozent), Konfliktfähigkeit (70 Prozent), Kooperationsfähigkeit (69 Prozent), Analysefähigkeit (67 Prozent), unternehmerisches Denken (64 Prozent), Zielorientierung (61 Prozent), Problemlösefähigkeit (56 Prozent) und Engagement (51 Prozent), wobei Fachwissen mit nur 14 Prozent deutlich weniger im Fokus stand.
Merke:
Ein Assessment Center ist ein vielseitiges Verfahren zur Beurteilung von Fähigkeiten und Eignung, das vor allem bei der Personalauswahl und Personalentwicklung eingesetzt wird. Ein wesentliches Merkmal eines Assessment Centers ist die Anwendung von praxisnahen Simulationen wie Gruppendiskussionen, Präsentationen oder Rollenspielen, bei denen geschulte Beobachterinnen und Beobachter das Verhalten der Teilnehmenden bewerten. Diese praktischen Übungen werden durch berufsspezifische Tests, Fragebögen und Interviews ergänzt, um eine umfassende Einschätzung der Teilnehmenden zu ermöglichen.
Vergleiche Arbeitskreis Assessment Center e.V. AC-Standards, Standards der Assessment Center Methode, 3. Vollständig überarbeitete Fassung 2016
Aufbau eines Assessment Centers
In einer Metaanalyse zu Assessment Centern in deutschsprachigen Regionen (Ackerman, P. L. und Lohman, D. F. Individual differences in cognitive functions. 139-161; in Alexander P. A., Winne P. H. (Eds.), Handbook of educational psychology 2006) wird empfohlen: „Keep it short but complex and diverse.“. Dabei sollen am besten eine Vielzahl von Kurzzeitübungen mit relevantem kognitiven Komplexitätsgrad bevorzugt werden wie kurzen Simulationen oder Interviews.
Am häufigsten wurden bei der deutschen Studie des Arbeitskreis Assessment Center e. V. 2016 (Obermann Ch. et al. 2016, siehe oben) die folgenden Verfahren angewandt: Interviews (86 Prozent), Zweiergespräche (83 Prozent), Präsentation (78 Prozent) und die Fallstudie (68 Prozent).
Tipp:
Ein klassischer Aufbau eines Assessment Centers kann z. B. sein (ca. 1 Tag):
- Begrüßung der Teilnehmenden und Ablauferklärung
- kurze Vorstellung der Teilnehmenden ggf. über eine Selbstpräsentation
- Gruppendiskussion zu einem vorgegebenen Thema
- Verteilung von Abfragen und z. B. Persönlichkeitstests
- Rollenspiele in kleinen Gruppen
- Postkorbübung (Priorisieren und Delegieren unter Zeitdruck)
- Interviews mit den einzelnen Teilnehmenden
- Abschlussgespräch und Feedback (ggf. auch erst schriftlich im Nachgang)
Ein verkürztes Assessment Center für die Klinik, Praxis oder Ambulanz auch während einer Hospitation könnte z. B. enthalten (ca. 2h):
- Rollenspiele anhand einer kleinen Fallstudie zu einem kritischen Patientengespräch (z. B. „Breaking Bad News“ wie Eltern eine schwerwiegende Diagnose ihres Kindes mitteilen) und Teamkonflikt (z. B. Konfliktgespräch auf der Station, in der Praxis oder Ambulanz moderieren)
- Interviews mit Vertretern der (OP-)Pflege, der unterschiedlichen ärztlichen Hierarchien und der Verwaltung
- Abschlussgespräch und Feedback (ggf. auch erst schriftlich im Nachgang)
Cave! Die Beobachtung und Bewertung startet mit der Begrüßung und endet erst mit dem Verlassen der Klinik, Praxis oder Ambulanz.
Welchen Aufbau ein konkretes Assessment Center hat, ist abhängig von der Arbeitsumgebung und dem Anforderungsprofil z. B. der zu besetzenden Position. Deshalb empfiehlt der Arbeitskreis Assessment Center e.V. folgende Standards (AC-Standards, Standards der Assessment Center Methode 2016): Auftragsklärung und Einbindung, Festlegung eines Anforderungsprofils, Verfahrensauswahl und -entwicklung, Auswahl und Vorbereitung der Durchführungsbeteiligten wie Beobachtende, Testleitungen, Moderatorinnen und Moderatoren, Interviewerinnen und Interviewer, Rollenspielende, Vorauswahl und Vorbereitung der Teilnehmenden, Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens, Datengewinnung und Bewertung, Datenintegration und Ergebnisermittlung, Feedback und Folgemaßnahmen sowie abschließend die Evaluation.
Einsatzmöglichkeiten von Assessment Centern in Kliniken und Praxen
Gerade, weil für uns die Arbeit in Kliniken, Praxen und Ambulanzen ein hohes Maß an interdisziplinärer Zusammenarbeit erfordert, bietet die Implementierung von Assessment Centern mehrere Vorteile. Durch die Simulation praxisnaher Szenarien können nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern auch soziale Fähigkeiten wie Teamarbeit, Kommunikation und Stressbewältigung evaluiert werden. Zudem können nicht nur in der Konzeption, sondern auch in der Durchführung z. B. von Rollenspielen Mitglieder des Stations-, OP-, Ambulanz- oder Praxisteams eingebunden werden. Durch ihre Beteiligung kann sichergestellt werden, dass neue Teammitglieder nicht nur fachlich, sondern auch persönlich zum bestehenden Team passen. Dies fördert die Akzeptanz neuer Kolleginnen und Kollegen und stärkt den Teamzusammenhalt.
Mittlerweile haben sich auch vor einem Stellenwechsel Hospitationen vor allem im ärztlichen Bereich etabliert. Bei diesen lassen sich ebenfalls zumindest einzelne Elemente eines Assessment Centers mit einbauen.
Toolbox Führung:
Fragen, die in einem Assessment Center für eine Klinik, Praxis oder Ambulanz im Rahmen eines Rollenspiels oder eines Interviews gestellt werden könnten:
- Kommunikation und Empathie: „In unserer Praxis / Klinik ist eine einfühlsame Patientenbetreuung essenziell. Wie würden Sie mit einer Patientin umgehen, die gerade eine schwere Diagnose erhalten hat und emotional sehr aufgewühlt ist?“
- Effizienz und Organisation: „Die Dokumentation von Patientendaten ist ein zentraler Bestandteil der täglichen Arbeit. Welche Maßnahmen könnten Sie vorschlagen, um den Dokumentationsprozess auf Ihrer Station zu optimieren?“
- Stressbewältigung und Priorisierung: „Im Schockraum treffen oft mehrere Notfälle gleichzeitig ein. Wie würden Sie reagieren, wenn Sie gerade einen schwerverletzten Patienten versorgen und gleichzeitig eine kritische Verlegung aus dem Rettungsdienst angekündigt wird?“
- Wirtschaftlichkeit und Ressourcenmanagement: „Kliniken stehen zunehmend unter Kostendruck. Welche Strategien könnten Sie entwickeln, um wirtschaftliche Einsparpotenziale auf Ihrer Station zu identifizieren, ohne die Qualität der Patientenversorgung zu beeinträchtigen?“
- Konfliktmanagement und Teamführung: „Als leitende Stationsärztin tragen Sie Verantwortung für ein funktionierendes Team. Wie würden Sie in einer Situation handeln, in der zwei Teammitglieder wiederholt Konflikte haben und dadurch die Zusammenarbeit auf der Station beeinträchtigt wird?“
Wichtige Tests und Übungen in Assessment Centern
Assessment Center setzen sich aus verschiedenen Übungen zusammen, die gezielt darauf abzielen, die Kompetenzen der Teilnehmenden realitätsnah zu bewerten. Eine der bekanntesten Übungen ist die Postkorbübung, wobei der Anteil bei der Studie des Arbeitskreis Assessment Center e.V. 2016 (Obermann Ch. 2016, siehe oben) nur noch 23 Prozent ausgemacht hat. Hierbei erhalten die Teilnehmenden eine Vielzahl von Aufgaben, Emails oder Dokumenten, die sie innerhalb eines viel zu engen Zeitrahmens bearbeiten müssen. Die Herausforderung besteht darin, Prioritäten zu setzen, Entscheidungen zu treffen und einige der Aufgaben zu delegieren. Dabei werden insbesondere Fähigkeiten wie Zeitintelligenz (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Sich leichter in der vorhandenen Zeit managen), Entscheidungsstärke (siehe auch Ärzte und Ärztinnen in Führung: Leichter schwere Entscheidungen treffen) und Organisationstalent bewertet, die für Führungskräfte von großer Bedeutung sind.
Ein weiteres zentrales Element ist die Gruppendiskussion, in der mehrere Teilnehmende gemeinsam über ein vorgegebenes Thema sprechen oder eine konkrete Problemstellung lösen müssen. In diesem Rahmen wird beobachtet, wie sich die einzelnen Personen in einer Gruppe verhalten, ob sie sich durchsetzen können oder ob sie in der Lage sind, andere Meinungen zu integrieren und zielführend mit ihren Mitbewerbern zusammenzuarbeiten. Kommunikationsfähigkeit, Überzeugungskraft und Teamfähigkeit stehen hier im Fokus der Bewertung.
Ebenfalls weit verbreitet sind Fallstudien, auch als Case Studies bekannt. Dabei erhalten die Teilnehmenden eine praxisnahe, komplexe Problemstellung, die sie innerhalb einer begrenzten Zeit analysieren und lösen müssen. Diese Übung wird häufig genutzt, um das analytische Denkvermögen, die Problemlösungsfähigkeit und das strategische Geschick der Teilnehmenden zu testen. Gerade für Führungspositionen in Kliniken kann eine solche Übung sinnvoll sein, wenn es beispielsweise darum geht, eine medizinische Notlage oder ein wirtschaftliches Problem der Klinikleitung zu bewerten und zu lösen.
Ein besonders praxisnaher Bestandteil vieler Assessment Center ist das Rollenspiel. Hier werden typische Situationen des beruflichen Alltags simuliert, etwa ein schwieriges Mitarbeitendengespräch, ein Konflikt mit einem Kollegen (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Konflikte leichter lösen) oder ein Beratungsgespräch mit einer Patientin. Die Teilnehmenden müssen in diesen Situationen angemessen agieren, sodass ihre soziale Kompetenz, Empathie und ihr Umgang mit Konflikten beurteilt werden können. Gerade im medizinischen Bereich, in dem Kommunikation mit Patientinnen und Patienten sowie Teammitgliedern essenziell ist, kann das Rollenspiel ein wertvolles diagnostisches Instrument sein (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Klarer miteinander kommunizieren).
Ein weiteres wichtiges Element eines Assessment Centers ist die Präsentationsaufgabe, bei der die Teilnehmenden ein Thema innerhalb kurzer Zeit aufbereiten und anschließend vor einer Jury oder einer Gruppe präsentieren müssen. Dabei geht es nicht nur um die fachliche Richtigkeit des Vortrags, sondern auch um die Strukturierung der Inhalte, die sprachliche Ausdrucksfähigkeit und die Fähigkeit, Zuhörende zu überzeugen. Insbesondere für Leitungspositionen in Krankenhäusern, in denen Präsentationen vor Gremien oder Fachpublikum zum Arbeitsalltag gehören, ist diese Übung ein entscheidendes Auswahlkriterium.
Zusätzlich zu den praktischen Übungen kommen oft Persönlichkeitstests zum Einsatz. Diese bestehen aus standardisierten Fragebögen, mit denen Charaktereigenschaften, Arbeitsstile und Führungsqualitäten erfasst werden. Häufig genutzte Modelle sind beispielsweise der „Big Five“-Persönlichkeitstest, der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI) oder das DISG Modell (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Verschiedene Persönlichkeiten leichter führen). Solche Tests bieten wertvolle Einblicke in die Persönlichkeitsstruktur der Teilnehmenden und ermöglichen eine fundierte Einschätzung darüber, ob eine Person zur Unternehmenskultur und zum Team passt.
Schließlich sind auch kognitive Leistungstests Bestandteil vieler Assessment Center. Hierbei handelt es sich um standardisierte Tests, die verschiedene geistige Fähigkeiten messen, etwa logisches Denken, Konzentrationsvermögen oder Problemlösungskompetenz. Typische Aufgaben umfassen das Fortsetzen von Zahlenreihen, das Lösen von Wortanalogien oder das Erkennen räumlicher Strukturen. Solche Tests helfen dabei, die intellektuellen Fähigkeiten und das analytische Denkvermögen der Teilnehmenden objektiv zu messen.
Insgesamt ermöglicht die Kombination dieser verschiedenen Tests und Übungen eine umfassende Bewertung der Teilnehmenden. Gerade in der Medizin, wo soziale Kompetenz und Teamfähigkeit eine ebenso große Rolle spielen wie Fachwissen, kann ein gut gestaltetes Assessment Center eine wertvolle Ergänzung im Auswahlprozess darstellen.
Aufwand und rechtliche Überlegungen bei der Anwendung von Assessment Centern
Bedenken kann es vor allem geben, wenn der Aufwand von mehreren Stunden oder sogar ein bis zwei Tagen für ein Assessment Center gesehen wird, besonders wenn durch Fachkräftemangel in der Klinik, Ambulanz oder Praxis das Team ohnehin schon dünn besetzt ist. Es sollte jedoch längerfristig gedacht werden. Wenn wir anstreben, dass durch diesen zeitlichen Aufwand z. B. eines Nachmittags, an dem die Praxis für das Assessment Center geschlossen wird, ein stabiles, gut funktionierendes Praxisteam aus dem Auswahlverfahren eines Bewerbungsprozesses hervor geht, so sparen wir uns anschließend wertvolle Zeit des Konfliktmanagements.
Von rechtlicher Seite sind Assessment Center grundsätzlich als Instrument der Eignungsdiagnostik zulässig, sofern sie freiwillig, transparent, objektiv, diskriminierungsfrei und datenschutzrechtlich DSGVO konform gestaltet sind. Es ist empfohlen, sich rechtliche Beratung einzuholen und, wenn vorhanden, den Betriebsrat in die Entwicklung des Assessment Centers einzubeziehen. Gerade wenn die Anwendung von Assessment Centern in universitären Berufungsverfahren für Führungspositionen im medizinischen Bereich evaluiert wird, sollte rechtlich geklärt werden, was genau zu den akademischen Voraussetzungen ergänzt werden kann, um Konkurrentenklagen zu vermeiden. Wünschenswert wäre es definitiv, dass gerade Chefärztinnen und Chefärzte an Unikliniken neben den akademischen Voraussetzungen auch hinsichtlich ihrer guten kommunikativen Fähigkeiten und Führungskompetenzen ausgewählt werden.
Interessant ist auch die Forderung des damaligen Präsidenten der Bundesärztekammer Prof. Dr. Montgomery nach einer rechtlichen Grundlage, dass bereits Medizinstudierende vor der Immatrikulation in Assessment Centern auf ihre Eignung zum ärztlichen Beruf auch hinsichtlich der menschlichen Voraussetzungen getestet werden sollten (Medizinstudium: Montgomery fordert Assessment-Center. Dtsch Arztebl 2017; 114(16): A-765).
Die Autorin:
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Gesundheitsmanagement, Medical Leadership und Digital Health an der AKAD Hochschule Stuttgart sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin des Instituts für ein gesundes Arbeitsleben im Gesundheitswesen (INSTGAG) begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte und andere Zusammenarbeitende im Gesundheitswesen dabei, sich und andere besser zu führen. Kontaktieren Sie Sonja Güthoff gerne unter info@sonjaguethoff.de.
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