Ärztinnen und Ärzte in Führung: Team-Resilienz fördern

9 November, 2023 - 07:50
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA
Ärztinnen und Ärzte in Führung: Prof. Dr. Sonja Güthoff
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach.

Was ist eigentlich Resilienz? Welche kleinen Verhaltensänderungen können bereits große Wirkung im Miteinander zeigen? Lesen Sie in diesem Artikel, wie wir als Ärztinnen und Ärzte in Führung in unserem Stations-, Ambulanz- oder Praxis-Team mehr Resilienz etablieren können, um die Zufriedenheit im Team und auch die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern.

Resilienz als dynamischer Anpassungsprozess

Die Anforderungen in der Klinik, Ambulanz und Praxis sind hoch. Immer wieder fühlen wir uns gestresst und ausgebrannt. In einer Studie des Marburger Bundes gaben 35 Prozent der 2.060 Ärztinnen und Ärzte an, oft bis sehr oft Gefühle des Ausgebranntseins zu erleben (Marburger Bundes Landesverband Berlin/ Brandenburg, Befragung von Ärzt*innen zu ihrer Arbeits- und Gesundheitssituation 2019).

Bei den Pflegekräfte sieht man den Burnout-Prozess deutlich im AOK Fehlzeiten-Report, in dem im Jahr 2021 die Fehlzeiten in der Pflege um ein Drittel höher waren als bei allen Versicherten. Im Zusammenhang mit Burnout waren die Fehlzeiten bei Pflegefachkräften sogar doppelt so hoch wie in anderen Berufsgruppen (AOK Pressemitteilung, Burnout-Risiko bei Pflegefachpersonen hoch, 23.08.2022). Zudem gaben für die Zeit der Pandemie 59 Prozent der Pflegekräfte in der COVID-Heim Studie an, mindestens an einer der klinisch-relevanten Beschwerden Stress, Angst und / oder Depression zu leiden (Hering Ch. et al. Psychosocial burden and associated factors among nurses in care homes during the COVID-19 pandemic: findings from a retrospective survey in Germany. BMC Nursing 2022; 21: 41, open access).

Um in dieser herausfordernden Zeit bestehen zu können, benötigen wir mehr Resilienz im Team. Dabei kann Resilienz als ein dynamischer Anpassungsprozess bei der Bewältigung von signifikanten Stressoren verstanden werden (vgl. Kaiser N. et al. Validierung einer deutschen Version der Resilience Scale for Adults (RSA). Diagnostica 2019; 65(4): 205-215).

Merke

Resilienz kann als ein dynamischer Anpassungsprozess bei der Bewältigung von signifikanten Stressoren verstanden werden, also als die Fähigkeit, belastende Lebensereignisse bzw. schwierige oder unangenehme Situationen so zu bewältigen, dass eine krankmachende Entwicklung abgemildert bzw. verhindert, die Wahrscheinlichkeit einer positiven Entwicklung erhöht und die psychische Gesundheit aufrechterhalten werden kann.

vgl. Kaiser N. et al. Diagnostica 2019; 65(4): 205-215.

Im Team ist Resilienz noch einfacher

Es ist gut und wichtig, dass ich mich selbst immer wieder in Resilienz übe. Wenn jedoch meine Umgebung gestresst ist, überträgt sich das auf mich. Denn im Burnout-Prozess spüren Menschen nicht nur emotionale Erschöpfung, sondern verfallen in Verhaltensweisen, die zu einer unpersönlichen Beziehung zu Patientinnen und Patienten, jedoch auch zu den Kolleginnen und Kollegen führt. Getrieben von Selbstkritik und Selbstabwertung zeigt sich oft ein (ungewollter) Zynismus im Miteinander. Eine verminderte Leistungsfähigkeit bzw. das Unvermögen, seine beruflichen oder persönlichen Ziele zu erreichen, kann zudem eine gefühlte Hilflosigkeit oder Machtlosigkeit, die Situation zu ändern, auslösen (vgl. Maslach C. et al. The Maslach Burnout Inventory Manual. 3. Aufl., Evaluating Stress: A Book of Resources 1997).

Für das Team ist nicht nur der Zynismus spürbar, sondern auch eine Reizbarkeit, vielleicht auch das Beschweren über Unrechtbehandlung sowie ein ständiges Schimpfen über Kolleginnen und Kollegen oder andere Abteilungen (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Burnout-Gefährdung leichter erkennen). Leider ist Negativität im Team ansteckend wie eine Erkältung, wie Studien von Foulk T., Woolum A. und Ere A. zeigen (Catching Rudeness Is Like Catching a Cold: The Contagion Effects of Low-Intensity Negative Behaviors. Journal of Applied Psychology 2016; 101(1):50-67). Jedoch können positive Emotionen auch negative Erfahrungen überschreiben (Fredrickson B.L. The Role of Positive Emotions in Positive Psychology - The Broaden-and-Build Theory of Positive Emotions. American Psychologist 2001; 56(3):218-226, siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Positive (Selbst-)Führung in der Medizin). Wenn das gesamt Team sich resilient aufstellt, sich gegenseitig darin unterstützt, besser mit den Herausforderungen des Klinik-, Ambulanz- oder Praxisalltags umzugehen und positiv miteinander agiert, so ist es für jede einzelne Person im Team einfacher, resilienter zu werden.

Kleine Verhaltensregeln mit großer Wirkung

Oft sind es bereits kleine Änderungen im Team, die zur allgemeinen Zufriedenheit beitragen. Um die Positivität im Team zu fördern, können Sie sich im Team mehr auf die positiven Dinge fokussieren, indem Sie z.B. bei der Visite, der Übergabe oder dem Team-Meeting als erstes besprechen, was gut gelaufen ist, welche guten Entwicklungen Patientinnen und Patienten genommen haben und was Ihnen persönlich oder als Team gut gelungen ist. Es hilft auch, bewusst im Team zu vereinbaren, wie positiv miteinander umgegangen werden möchte. Ein schönes Tool ist auch die „Wertschätzungsdusche“, bei der Sie sich gegenseitig sagen oder jeweils pro Person reihum einen Zettel schreiben, was Sie an dieser Person jeweils gut finden und ehrlich wertschätzen (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Positive (Selbst-)Führung in der Medizin).

Viele Teams machen sich selbst unnötigen Stress, indem Sie sich gegenseitig häufig bei Arbeitsprozessen unterbrechen bzw. von Angehörigen oder anderen unterbrechen lassen und versuchen, verschiedene Dinge gleichzeitig zu machen. Allerdings kann es bei Arbeitsunterbrechungen und Multitasking nicht nur zur Leistungsminderung kommen, sondern auch zur Überforderung im Sinne von Stressreaktionen (Baethge A. und Rigotti T. Arbeitsunterbrechungen und Multitasking. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2010). Eruieren Sie doch mal im Team, wo Sie Unterbrechungen und Multitasking vermeiden können. Können Sie z.B. die nicht wirklich dringenden Punkte sammeln, und gezielte Besprechungszeiten ausmachen? Ist es möglich, für Angehörige Sprechzeiten festzusetzen? Gibt es die Möglichkeit, z.B. das Arztzimmer zu schließen und darum zu bitten, wirklich nur im Notfall zu unterbrechen, damit Sie oder Ihre Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung fokussiert Arztbriefe, OP-Berichte etc. schreiben können? Was benötigt die Pflege, um nicht ärztlicherseits häufig unterbrochen zu werden? (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Sich leichter in der vorhandenen Zeit managen).

Peer-Group Resilienz Beauftragte im Team etablieren

Eigentlich haben wir als Ärztinnen und Ärzte in Führung alles an der Hand oder können auch vieles an Möglichkeiten zur Resilienz-Steigerung für unser Team in Büchern, Artikeln etc. finden. Sind wir jedoch selbst von der Kapazität her komplett ausgelastet, haben wir weder Zeit noch Kraft dafür, Resilienz ins Team zu bringen. Wenn wir allerdings bedenken, dass die Produktivität und Qualität der Patientenversorgung unter der Belastung der Pflegefachkräfte, Ärztinnen und Ärzte leidet (Hodkinson A. et al. Associations of physician burnout with career engagement and quality of patient care: systematic review and meta-analysis. BMJ 2022; 378, open access; Schmucker R. Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen. Pflege-Report 2019. Springer 2020; 49-60), dann sollte die Verbesserung der Resilienz absolute Priorität haben.

Das Gute ist, wir müssen und sollen als Führungskraft nicht alles selber tun, sondern dürfen und müssen delegieren (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Leichter erfolgreich delegieren). So wie es auch für andere Dinge Hygiene-Beauftragte, Qualitäts-Beauftragte etc. gibt, können wir eine Resilienz-Beauftragte im Team etablieren.

Tipp

Etablieren Sie eine oder einen Peer-Group Resilient Trainer/in (INSTGAG) auf Ihrer Station, im OP, in der Ambulanz oder Praxis. Diese können ganz gezielt als Resilienz-Beauftragte ein Konzept für das Team erstellen, in dem Methoden, Tipps und vorteilhafte Verhaltensweisen im Team verankert werden. Das Gute ist, dass alles was aus der Peer Group kommt, in der Regel besser angenommen wird, als wenn es die Führungsebene vorgibt.

Infos zur ärztlichen und pflegerischen Fortbildung „Peer-Group Resilienz Trainer/in (INSTGAG)“ auf www.instgag.com  

Toolbox Führung

Wie kann ich als Ärztin oder Arzt in Führung mehr Team-Resilienz auf meiner Station, in der Ambulanz oder Praxis fördern?

  1. Ein resilientes Vorbild sein
    Als Führungskraft darf ich mir wieder einmal mehr vor Augen führen, dass ich als Vorbild für mein Team fungiere. Es ist nicht nur für mich, sondern für das ganze Team relevant, wie ich selbst in Herausforderungen agiere. Ob wir wollen oder nicht, wir geben Druck und Anspannung weiter. Jedoch wirkt sich auch unsere Gelassenheit positiv auf unser Umfeld aus (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Mit Gelassenheit (sich) führen).
     
  2. Im Team positive Erfahrungen sammeln
    Oft hilft es schon, im Team darüber zu sprechen, dass wir viele Herausforderungen haben. So fühlen wir uns nicht alleine mit unserem Frust. Wichtig ist jedoch, sich auf die positiven Dinge zu fokussieren, wie z.B. was bei den Einzelnen im Team bei Stress hilft. Vielleicht ist da auch eine Methode dabei, die ich selbst ausprobieren mag. Außerdem kann im Team überlegt werden, wie der Stress minimiert werden kann z.B. indem Unterbrechungen und Multitasking vermieden werden und ein positiver Umgang miteinander gefördert wird (siehe oben).
     
  3. Peer-Group Resilienz Beauftragte etablieren
    Um dem Thema Resilienz noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen, können Sie gemeinsam überlegen, wer sich der Team-Resilienz als beauftragte Person annehmen möchte. Unterstützt durch eine pflegerische oder ärztliche Fortbildung (siehe Tipp) können diese Resilienz-Beauftragten dann ein Resilienz-Konzept für die Station, den OP, die Ambulanz oder Praxis erstellen. Auch wenn es oft nur kleine Veränderungen sind, die uns bereits helfen, im Team resilienter zu sein, müssen diese von allen akzeptiert und unterstützt werden. Daher ist es wichtig, dass auch die Ideen und Wünsche aus dem Team mit in das Konzept einfließen dürfen.

Beispiel aus der Praxis

Die Inhaberin einer Praxis mit gefäßchirurgischem Schwerpunkt fühlt sich stark belastet. Sie macht selbst ärztliche Fortbildungen zum Thema Resilienz-Aufbau und Gesunde Selbstführung, hat jedoch nicht die Kraft und Kapazität, in ihrem Praxis-Team Verbesserung der Resilienz anzuregen.

Da erfährt sie von der Möglichkeit, ein Team-Mitglied zur interdisziplinären Fortbildung „Peer-Group Resilienz Trainer/in (INSTGAG)“ zu schicken. Schnell erklärt sich aus ihrem zwölfköpfigen Praxisteam eine Medizinische Fachangestellte (MFA) bereit, die Ausbildung zu machen. An drei Samstagen lernt sie Methoden und Tools kennen, wie sich gemeinsam die Resilienz verbessern lässt. Am Ende wird sie daraus sogar in Absprache mit den anderen ein Konzept speziell für die Praxis entwickeln.

Die Praxisinhaberin ist überrascht, was bereits nach dem ersten Seminartag für Impulse in die Praxis gebracht werden. Zum Beispiel war ihr selbst gar nicht bewusst, wie vielen Unterbrechungen sie selbst und ihr Team jeden Tag ausgesetzt sind. Die MFA macht mit dem Team eine kleine Übung, um zu verdeutlichen, wie sich diese Unterbrechungen und Multitasking auswirkt. Daraufhin überlegen alle, einen Ablagekorb mit Rezepten und anderen Dingen zur Unterschrift sowie kleinen Nachrichten an die Ärztin im Stützpunkt aufzustellen. Diese Ablage steuert die Chirurgin zwischen den Patientinnen und Patienten gezielt an. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass sie sich dadurch auch aktiv während der Sprechzeit bewegt. Sie nutzt die Gelegenheit, die Patientinnen und Patienten wieder selbst im Wartezimmer aufzurufen. Dadurch fühlt sich die Ärztin viel weniger fremdbestimmt und kann auch mal kurz eine Minipause einlegen.

Die Autorin:

Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Expertin für Medical Leadership und Resilienz im Gesundheitswesen, Professorin für Health Care an der AKAD Hochschule Stuttgart sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen und begleitet Ärztinnen und Ärzte, aber auch andere Führungskräfte aus dem Gesundheitswesen dabei, sich und andere besser zu führen.

Sie möchten mehr erfahren? Kontaktieren Sie die Autorin gerne zu den Themen Medical Leadership und Resilienz im Gesundheitswesen unter info@sonjaguethoff.com und nutzen Sie die Fortbildungsmöglichkeiten für Ärztinnen und Ärzte oder informieren Sie sich zur Ausbildung „Peer-Group Resilienz Trainer/in (INSTGAG)“ unter www.instgag.com.

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