Ärztinnen und Ärzte in Führung: Leichter mit Angst bei der Arbeit umgehen

9 Oktober, 2024 - 09:27
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA
Ärztinnen und Ärzte in Führung: Prof. Dr. Sonja Güthoff
Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Health Care an der AKAD University sowie Stress- und Burnout-Coach.

Ängste bei der Arbeit in der Klinik, Praxis oder Ambulanz sind unter Ärztinnen und Ärzten immer wieder zu finden. Lesen Sie in diesem Artikel, wie Sie ggf. mit Ihrer eigenen Angst leichter umgehen können. Und wie Sie als Ärztin oder Arzt in Führung die Angst Ihrer Mitarbeitenden erkennen und sie beim Überwinden von hemmender Angst unterstützen können.

Kennen Sie auch folgende Reaktion von Bekannten, wenn Sie hören, dass wir Ärztinnen und Ärzte sind: „Ich könnte diesen Beruf nicht machen, ich hätte viel zu viel Angst, etwas falsch zu machen, und am Ende stirbt noch jemand.“? Oft antworten wir gelassen, dass wir gerne Verantwortung tragen und im Vordergrund ja schließlich das Helfen und Heilen steht. Zugegebenermaßen gibt es jedoch immer wieder Situationen oder Umstände, die auch uns Sorge bereiten. Es ist auch nicht selten, dass Ärzte und Ärztinnen von tatsächlich schweren Ängsten im Arbeitsalltag geplagt sind.

26.05.2025, Psychiatrische Universitätsklinik zürich
Zürich
26.05.2025, Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd - Klinik Höhenried gGmbH
Bernried am Starnberger See

In einer randomisierten kontrollierten britischen Studie mit 227 Ärztinnen und Ärzten verschiedener Fachrichtungen zeigten 13,2 Prozent schwere Ängste (Medisauskaite A, Kamau C. Reducing burnout and anxiety among doctors: Randomized controlled trial. Psychiatry Res. 2019; 274: 383-390). Unter 269 an einer Studie teilnehmenden kanadischen Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung hatten 27,9 Prozent moderate bis schwere Symptome von Angst (Liu R. Q. et al. Impostorism and anxiety contribute to burnout among resident physicians. Med Teach 2022; 44(7): 758-764). Und ein systematisches Review mit 31 Studien und 11.399 teilnehmenden Chirurginnen und Chirurgen zeigte eine hohe Prävalenz von Angst und Depression, wobei für Angst der Median 20 Prozent mit einer Spanne von 54,6 Prozent zu vermerken war (Egbe A., El Boghdady M. Anxiety and depression in surgeons: A systematic review. Surgeon. 2024; 22(1) :6-17).

Grundsätzlich sind Ängste für das Überleben wichtig. Gerade, wenn für andere Menschen die Verantwortung und Sorge getragen wird, werden in der Regel auch Ängste vor Fehlern oder dem eigenen Versagen geweckt (Schiltenwolf, M., Sack, M. Arztsein: Die Angst des Arztes. Dtsch Arztebl. 2014; 111(13): A-546-547). Was können wir jedoch tun, wenn die Angst uns in der Ausübung unserer ärztlichen Tätigkeit hemmt oder die Angst bei Mitarbeitenden entsprechende Ausmaße annimmt?

Ängste bei der Arbeit erkennen

Der erste Schritt sollte sein, die eigenen Ängste zu erkennen. Denn ärztliche Ängste würden häufig verdrängt, somit selten reflektiert und noch seltener mit Kolleginnen und Kollegen offen kommuniziert (Schiltenwolf, M., Sack, M. 2014, siehe oben). Im Sinne der impathischen Selbstführung können wir uns darin üben, bewusst nach innen zu schauen und unsere Bedürfnisse wahrzunehmen (vergleiche Ärztinnen und Ärzte in Führung: Von impathischer Selbstführung zu Impathic Leadership). Dabei können Ängste auch durch mangelnde Befriedigung unserer Bedürfnis nach Maslow A. H. (A theory of human motivation. Psychological Review. 1943; 50(4): 370-396) entstehen z. B.:

  • Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität (jederzeit kann etwas Unvorhergesehenes passieren, so dass Angst z. B. vor einem Nachtdienst, der Intensivstation oder der Notaufnahme entstehen kann),
  • Soziale Bedürfnisse wie die Zugehörigkeit (wenn ich Fehler mache, werde ich von den ärztlichen und pflegerischen Kolleginnen und Kollegen nicht mehr akzeptiert),
  • Individualbedürfnisse wie Wertschätzung und Anerkennung (wenn etwas schiefläuft, dann werde ich schlecht bewertet, von Patientinnen und Patienten gemieden und verliere meinen Status).

Merke:

Das Erkennen der eigenen Angst kann uns auch befähigen (Impathic Leadership), empathisch Anzeichen von Ängsten in ärztlichen und pflegerischen Mitarbeitenden zu deuten:

  • Sehe ich Vermeidungsstrategien (z. B. Ausreden, nicht im OP assistieren zu können)?
  • Gibt es Anzeichen für psychosomatische Reaktionsmuster (z. B. vermehrtes Schwitzen und Unruhe oder Krankschreibungen im Zusammenhang mit Diensttätigkeiten oder herausfordernden Eingriffen)?
  • Zieht sich jemand zunehmend zurück und zeigt weniger Freude bei der Arbeit in der Klinik, Praxis oder Ambulanz?

Impostor Phänomen als Risikofaktor für Angst

In der oben erwähnten kanadischen Studie zeigte sich ein Impostor Phänomen als unabhängiger Risikofaktor für Angst mit einem relativen Risiko von 3.64 (95  Prozent Konfidenzintervall (CI) 1.96-6.76; Liu R. Q. et al. 2022, siehe oben). Bereits in den 70er Jahren von den beiden Psychologinnen Pauline R. Clance und Suzanne A. Imes beschrieben, bezeichnet das Impostor Phänomen, dass gerade Studierte oder zusätzlich Promovierte sich selbst trotz ausgezeichneter Ausbildung und beruflichen Erfolgen als Hochstapler bzw. Hochstaplerinnen sehen, die ihren Erfolg nicht verdient hätten und jeden Moment „auffliegen“ könnten (Psychotherapy: Theory, Research and Practice 1978; 15: 241-247).

Auch unter Medizinstudierenden, Ärztinnen und Ärzten findet sich z. B. in einem Literaturüberblick eine Prävalenz von 22,5 Prozent bis 46,6 Prozent (Thomas M., Bigatti S. International Journal of Medical Education 2020; 11: 201-213). Seien Sie entsprechend aufmerksam, wenn Mitarbeitende abwehrend reagieren, obwohl etwas gut gelaufen ist. Hinter der häufigen Bescheidenheit oder verminderten Freude über Erfolge könnte ein Impostor Phänomen stecken. Oder sehen Sie bei sich selbst Impostor Tendenzen? Wie Sie selbst ein Impostor Phänomen überwinden oder Ihre Mitarbeitenden diesbezüglich besser unterstützen können, finden Sie im Artikel “Ärztinnen und Ärzte in Führung: Impostor Phänomen leichter überwinden“.

Eine Atmosphäre für offenes Aussprechen von Ängsten schaffen

Wir wissen, wie wichtig es ist, über Fehler zu sprechen, um das erneute Eintreten derselben Fehler zu vermeiden. Hierfür gibt es z. B. „Lessons Learned“ oder auch „M & MK“ (Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen; vergleiche Ärztinnen und Ärzte in Führung: Fehlerkultur leichter verbessern). Selten wird im Rahmen dieser Konferenzen über die Gefühle und somit auch nachfolgenden Ängste von ärztlichen oder pflegerischen Kolleginnen und Kollegen gesprochen. Schaut man sich die angstbezogenen Symptome an, die eine Metaanalyse eruierte, so finden sich z. B. unter den 18 Studien mit 11.649 Angehörigen der Gesundheitsberufe, die in unerwünschte Ereignisse bei Patientinnen und Patienten involviert waren (Busch I. M. et al. Psychological and Psychosomatic Symptoms of Second Victims of Adverse Events: a Systematic Review and Meta-Analysis. J Patient Saf. 2020; 16(1): e61-e74) in:

  • 76 Prozent (CI 33–95 Prozent) Angst / Besorgnis (Anxiety / concern),
  • 56 Prozent (CI 34–75 Prozent) Angst vor zukünftigen Fehlern (Fear of future errors),
  • 43 Prozent (CI 32–54 Prozent) Angst (Fear),
  • 39 Prozent (CI 14–71 Prozent) Besorgnis über die Reaktion der Kolleginnen und Kollegen (Concern regarding colleagues’ reactions),
  • 36 Prozent (CI 21–54 Prozent) Angst vor Folgen / offizielle Konsequenzen (Fears of repercussions/official consequences),
  • 8 Prozent (CI 0–70 Prozent) Besorgnis über die Reaktionen der Patientinnen und Patienten (Concern regarding patients’ reactions).

Tipp:

Regen Sie ggf. in „M & MK“ (Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen) an, das Thema Second Victim Phänomen zu thematisieren (siehe auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: (Sich) Besser durch Second Victim Symptome führen).

Schaffen Sie jedoch auf jeden Fall in Ihrem Team eine Atmosphäre, in der Ängste angesprochen werden können. Darüber zu sprechen und vor allem auch zu erfahren, dass es anderen Kolleginnen und Kollegen ähnlich geht, ist bereits der erste Schritt zur Verarbeitung und zum besseren Umgang mit der eigenen Angst.

Machen Sie sich selbst bewusst und thematisieren Sie auch im Team, dass wir ganz unterschiedlich „ticken“. Es gibt zum Beispiel nach dem DISG Modell (vergleiche Gay F. und Karsch D. Das persolog® Persönlichkeits-Profil. Gabal Verlag. 2019) neben den risikofreudigeren und entscheidungsschnellen dominanten und initiativen Verhaltensstilen auch die stetigen und gewissenhaften. Die beiden Letzteren haben ein deutlich stärkeres Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität (vergleiche auch Ärztinnen und Ärzte in Führung: Verschiedene Persönlichkeiten leichter führen).

23.05.2025, Tim Glagla "Der Chefarzt-Headhunter"
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23.05.2025, CuraMed Akutklinik Allgäu
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Gerade, wenn wir als Ärztinnen und Ärzte in Führung recht risikofreudig und erfahren sind, dürfen wir offen dafür bleiben, dass ärztliche oder pflegerische Kolleginnen und Kollegen aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur und/oder der noch weniger ausgeprägten Erfahrung ein größeres Bedürfnis nach Sicherheit und somit Anleitung bzw. Absprache haben können. Es ist wichtig, in diesem Fall die Unterstützung proaktiv anzubieten bzw. die Hemmschwelle möglichst niedrig zu halten, dass diese Personen sich auch trauen, um unsere Unterstützung zu bitten.

Toolbox (Selbst-)Führung

Zusammenfassend können Sie als Ärztin oder Arzt in Führung folgende Punkte bei sich selbst oder zur Unterstützung Ihres Teams bezogen auf Ängste bei der Arbeit berücksichtigen:

  1. Ängste erkennen – im Sinne von Impathic Leadership erst bei mir (Impathie) und danach bei meinen Mitarbeitenden (Empathie).
  2. Austausch suchen – eine gute Atmosphäre zum offenen Ansprechen von Ängsten schaffen, so dass in der Gruppe oder ggf. mit einer vertrauten Person über die Ängste gesprochen werden kann. Ggf. auch Second Victim Symptome und die Möglichkeit eines Impostor Phänomens ansprechen.
  3. Ängste akzeptieren – für sich selbst oder mit den Mitarbeitenden definieren, was auch die guten Seiten an den (moderaten) Ängsten sein können (Schutzfunktion, Verantwortungsbewusstsein, Respekt vor dem Leben bzw. der Lebensqualität der Patientinnen und Patienten etc.).
  4. Bedürfnisse beachten – gerade das Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität kann bei einigen Persönlichkeitstendenzen besonders relevant sein. Haben Sie daher ein offenes Ohr, wenn jemand aus dem Team sich mehr absichern möchte und z. B. mit Ihnen als Ärztin oder Arzt in Führung die Diagnostik oder das Vorgehen intensiver durchsprechen möchte, als Sie es für „notwendig“ erachten.
  5. (Selbst-)Strategie zurechtlegen – um dem Gefühl von Unvorhersehbarem entgegenzutreten, kann es helfen, sich selbst oder mit den Mitarbeitenden eine Strategie anhand der folgenden Fragen zu erarbeiten: Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Wie wahrscheinlich ist es, dass es eintritt? Was kann ich machen / vorbereiten, um das Schlimmste und das Wahrscheinlichste zu vermeiden bzw. wie reagiere ich / wen kontaktiere ich, falls dieses eintritt?

Die Autorin:

Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA ist Ärztin, Führungskräfte-Trainerin, Professorin für Gesundheitsmanagement, Medical Leadership und Digital Health an der AKAD Hochschule Stuttgart sowie Stress- und Burnout-Coach. Auf ärztestellen.de gibt sie regelmäßig Tipps zu Führungs-Themen. Als Leiterin des Instituts für ein gesundes Arbeitsleben im Gesundheitswesen (INSTGAG) begleitet sie Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte und andere Zusammenarbeitende im Gesundheitswesen dabei, sich und andere besser zu führen. Kontaktieren Sie Sonja Güthoff gerne unter info@sonjaguethoff.de.

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